- Fahren (3)
3. Fahren, verb. irreg. ich fahre, du fährest oder fährst, er fähret oder fährt u.s.f. Imperf. ich fuhr; Conj. ich führe; Mittelw. gefahren. Es ist in doppelter Gattung üblich.
I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, sich bewegen, den Ort verändern.
1. In der eigentlicher und weitern Bedeutung. 1) Sich bewegen, oder beweget werden, ohne allen Nebenbegriff; doch nur noch in einigen Fällen. Mit der Hand auf dem Tische hin und her fahren. Daß der Kasten auf dem Gewässer fuhr, 1 Mos. 7, 18. In den Rechten ist noch die fahrende Habe für bewegliche Güter üblich, im Gegensatze der unbeweglichen, in welcher Bedeutung dieses Wort schon alt ist. Die Farunde habe unterscheidet schon Stryker und der Schwabenspiegel von dem Erbe und Eigen. Min varnde gut und eigens vil, Walth. von der Vogelweide. S. Fahrniß. 2) Mit dem Nebenbegriffe der Wirkung, oder einer vorgesetzten Handlung, welcher Gebrauch in der Deutschen Bibel häufig, außer dem aber wenig vorkommt. Wo du mit deinem Messer über den Altar fährest, 2 Mos. 20, 25. Du sollst die Bäume nicht verderben, daß du mit den Äxten daran fahrest, 5 Mos. 20, 19. Kein Schermesser soll über sein Haupt fahren, 4 Mos. 6, 5. 3) Mit dem Nebenbegriffe der Geschwindigkeit, eine schelle und gemeiniglich unerwartete Bewegung anzudeuten, so wohl von lebendigen als leblosen Dingen. Ich möchte aus der Haut fahren, ein im gemeinen Leben üblicher Ausdruck der Ungeduld. Vor Schrecken zurück fahren, zusammen fahren, uuidorort faran bey dem Ottfried. Aus dem Bette fahren. Der böse Geist ist in ihn gefahren. Mit der Hand in die Schüssel fahren. Der Blitz fuhr aus den Wolken. Die Axt ist vom Stiele gefahren. Der Spieß fuhr in die Wand. Es ist mir durch alle Glieder gefahren, sagt man im gemeinen Leben von einem großen Schrecken. Die ganze Gesellschaft fuhr (griff schnell) nach den Gläsern, Raben. Die schnellen Flügel der Zeit fahren mit dem Strahle des Lichts in die Wette, Dusch. Bey den Jägern fähret der Hase, wenn er sich auf den Hinterläuten schnell fortbewegt. Der Strick fuhr mir aus der Hand. Das Seil fahren lassen, aus der Hand. Auch figürlich mit dem Zeitworte lassen, sich einer Sache begeben, ihrem Besitze, ihrem Genusse entsagen. Laß fahren, was nicht bleiben will. Ich will den Gewinst fahren lassen. Lassen sie das Geld fahren. Die Sorgen, den Kummer fahren lassen, sich desselben entschlagen. Rede ihr doch zu, daß sie ihren Eigensinn fahren lässet, Gell. ihn ableget. Wenn sie Julchen wollen fahren lassen, ebend. Laß diese Get anken Fahren. Die Gelegenheit fahren lassen, entwischen lassen. Nur die häufigen biblischen Ausdrücke, Gottes Gebothe, Gott, Gottes Rath, das Gesetz, die Zucht u.s.f. fahren lassen, sie verlassen, hintan setzen, sind im Hochdeutschen ungewöhnlich. 4) In engerer Bedeutung, sich wohin begeben, den Ort verändern, reisen, von Menschen, ohne allen Unterschied der Art und Weise. In dieser nur noch in einigen Fällen üblichen Bedeutung stehet es, (a) für gehen. Furifare, vorüber gehen, Kero. Then uueg si faran fcoleon, Ottfr. Ich faru dhir fora, ich gehe vor dir her, Isid. In der Schweiz fahren die Sennen oder Hirten noch zu Alp, wenn sie mit ihren Herden auf die Alpen ziehen, und die Bergleute gebrauchen fahren in dieser Bedeutung beständig, sie mögen nun auf einer horizontalen Fläche gehen, oder in die Gruben und aus denselben steigen. Fahret nicht hoch her, tretet nicht stoltz einher, Luc. 12, 29. (b) Für reiten. Tho komi er gevaren uf fineme marche, Fragm. de bello Caroli. Er siehet aber Reiter reiten, und fahren auf Rossen, Eseln und Kamelen, Es. 21, 7. Welche Bedeutung aber im Hochdeutschen völlig veraltet ist. (c) Für reisen.
Mit vrlob wil ich hinnan varn
Vnd scheiden von dem lande,
Graf Wernh, von Hohenberg.
Zeug hinauf und fahre glückselig, 1 Kön. 22, 12, 15. Auch diese Bedeutung ist im Hochdeutschen ungewöhnlich, obgleich faran bey dem Ulphilas, fara im Schwed. und to fare im Engl. gleichfalls reisen bedeuten. Nur die Handwerksbursche pflegen ihr Reisen und Wandern noch ein Fahren zu nennen. S. auch Wallfahrt. Mit einem verächtlichen Nebenbegriffe ist es in diesem Verstande im Oberdeutschen sehr gewöhnlich, für herum streifen. Ein fahrender Bettler, Ritter, Musikant u.s.f. der im Lande herum ziehet und keine gewisse Stätte hat. Ein Landfahrer, ein Landstreicher. Im Angels. sind Farandmanni pede pulverosi, Fremdlinge, Ausländer, und die Faramanni in dem alten Burgund bey dem Du Fresne sind vielleicht auch nichts anders, obgleich Ihre sie für eine Art von Lohnbauern hält, weil fara im Schwedischen auch den Acker bauen bedeutet. Die fahrende Wuth der Hunde, wobey sie in der Wuth so lange herum laufen, bis sie umfallen; im Gegenmaße der fallenden. Hierher gehören auch (d) die biblischen Redensarten, wenn von Gott gesagt wird, er fahre auf dem Cherub, auf den Wolken u.s.f. (e) Ingleichen die gleichfalls biblischen Ausdrücke. Gen Himmel fahren. Zur Hölle fahren, welches nur von Christo gebraucht wird, dagegen man von lasterhaften Menschen in die Hölle fahren, und im härtesten Ausdruck, zum Teufel fahren, sagt. Aus dieser Welt fahren, gemeiniglich in einem Bedenklichen Verstande wegen des künftigen Zustandes des Verstorbenen. In der Stelle, Herr nun lässet du deinen Diener in Frieden fahren, stehet es absolute für sterben, so wie fara im Schwedischen umkommen bedeutet, womit auch das Latein. perire überein stimmet. S. Verfahren. 5) In noch engerer Bedeutung, welche aber im Hochdeutschen die gewöhnlichste ist. (a) Den Ort auf einem Fahrzeuge und Fuhrwerke, d.i. auf einem Schiffe, Kahne, Wagen, Karren, Schlitten u.s.f. verändern. Auf einem Schiffe, Kahne, Wagen, Schlitten fahren. In den Wald, ins Feld, oder auf das Feld in die Stadt, über Land, auf das Dorf, an den Hof fahren. Er kam mit vier Pferden in die Stadt gefahren. Wir sind heute spazieren gefahren, in welcher Redensart dieses Zeitwort, so wie gehen und reiten, den bloßen Infinitiv vor sich hat. Irre farhren, sich im Fahren verirren. Den nächsten Weg fahren, im Oberd. des nächsten Weges. Sich müde fahren, von langem Fahren müde werden. Die fahrende Post, im Gegensatze der reitenden. Über einen Fluß fahren, mit einem Schiffe, Kahne, u.s.f. An das Land, an das Ufer fahren. Von dem Lande, von dem Ufer, auf die hohe See fahren. Der Schiffer ist auf den Grund gefahren, ist mit dem Schiffe auf den Grund gerathen. Von dem Fahren auf und mit großen Schiffen ist indessen segeln und zuweilen auch schiffen üblicher. Auch gebraucht man dieses Zeitwort von Schlittschuhen und Schubkarren. Auf Schlittschuhen fahren. Mit dem Schubkarren in die Stadt, zur Stadt fahren, ob er gleich nur geschoben wird. In einigen Fällen ist es auch von Personen üblich, wenn sie mit Seilen in die Höhe gezogen werden. So fährt der Schieferdecker auf den Thurm. S. Fahrsessel 2.
2. Figürlich. 1) * Fortschreiten, von Reden; ein jetzt ungewöhnlicher Gebrauch. Darum wollen wir die Lehre – jetzt lassen, und zur Vollkommenheit fahren, Ebr. 6, 1. 2) * Ziehen; eine gleichfalls veraltete Bedeutung, welche nur noch bey den Tuchscherern vorkommt, welche das Schrauben, d.i. wenn sie die große Schraube der Presse zuziehen, fahren nennen. S. auch Fahre. 3) Von einem schnellen Ausbruche der Rede. Ey! fuhr der Koch heraus, u.s.f. Lichtw. Einem über das Maul fahren, in der niedrigen Sprechart, ihm trotzig, gebieterisch antworten. 4) Jemanden durch den Sinn fahren, seinem Eigensinne freymüthig widersprechen. Aber die biblischen Ausdrücke: er (Gott) fähret über mich mit Ungestüm, Hiob 9, 17. Du hast Menschen lassen über unser Haupt fahren, Ps. 66, 12. sind ungewöhnlich. 5) Handeln, wirken; so wohl (a)* überhaupt, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Lose mich fone unrechto farenten, Notk. erlöse mich von denen, welche Böses thun.
Wolt ihr euch vor Krieg bewaren
So müst ir nach meim rat faren,
Theuerd.
So verkündiget er ihnen, was sie gethan haben, und ihre Untugend, daß sie mit Gewalt gefahren haben, Hiob. 36, 9; wo das Hülfswort haben bemerket werden verdienet. Wer ohne Furcht fähret, der gefällt Gott nicht, Sir. 1, 28. Gottes Geboth lehret klüglich fahren in allem Handel, Kap. 19, 18. Als auch (b)* in Ansehung der Art und Weise, wie man Personen und Sachen behandelt; ein gleichfalls veralteter Gebrauch. Mit einer Sache grob fahren, sie grob behandeln, im Oberdeutschen. Fahret säuberlich mit dem Knaben, 2 Sam. 18, 5. Warum willst du mit deinen Knechten also fahren? 2 Mos. 5, 15. Dieweil wir denn wissen, daß der Herr zu fürchten ist, fahren wir schön mit den Leuten, 2 Cor. 5, 11. wir begegnen ihnen glimpflich. S. Mitfahren, Fortfahren und Verfahren, welche diese Bedeutung des Handelns noch aufbehalten haben. Im Schwedischen bedeutet fara gleichfalls agere, und das Latein. facere, woraus das Ital. fare und Franz. faire geworden sind, scheinen mit unserm Worte aus Einer Quelle hergeflossen zu seyn. 6) Wohl oder übel bey oder mit einer Sache fahren, seinen Zustand durch dieselbe verbessern oder verschlimmern, in der vertraulichen Sprache des Umganges. Ich bin sehr wohl, sehr gut bey diesem Kaufe gefahren. Bleib bey den Gedanken, du wirst wohl dabey fahren, Gell. Ein Mann wird recht gut mit ihnen fahren, wenn sie diesen Fehler ablegen wollen, ebend. 7) * Geschehen. So fare iz, so geschehe es, Notk. eine völlig veraltete Bedeutung, wovon das Zeitwort Widerfahren noch ein Überrest ist. Wer weiß, ob hierin nicht die Abstammung des Latein. fieri und des Deutschen werden liegt? 8) * Leben; ein eben so unbekannt gewordener Gebrauch, der indessen noch in dem Englischen fare, und in den Deutschen Wörtern Verfahren, für sterben, Vorfahrer und Nachfahrer übrig ist.
II. Als ein Activum, welches folglich das Hülfswort haben bekommt. Auf einem Fahrzeuge oder auf einem Fuhrwerke von einem Orte zum andern bringen, wofür im Oberdeutschen führen üblich ist. Reisende, Waaren über einen Fluß, über eine Meerenge fahren, auf einer Fähre, einem Kahne oder Schiffe.
Allein an Leuten eurer Art,
Die stolze Polyhistor waren,
Hab' ich mich schon bald lahm gefahren,
sagt Charon zum Polyhistor beym Gellert. Fremde nach Dresden fahren, auf einem Wagen. Der Fuhrmann fährt gut. Holz zur Stadt, in die Stadt fahren. Zuweilen auch mit einigen Ellipsen. Holz fahren, anfahren, aus dem Walde hohlen, oder in die Stadt fahren. Steine fahren. Mist fahren, auf das Feld führen.
Anm. Das Hauptwort die Fahrung ist nur in einigen Zusammensetzungen üblich; doch pflegen die Bergleute ihr Aus- und Einfahren, ingleichen den Fahrschat, eine Fahrung zu nennen. Im Niedersächsischen lautet dieses Wort so wohl im Activo als Neutro faren, und in einigen Gegenden färje. Das Latein. varare, überfahren, und das mittlere Lat. ferire, fahren, kommen genau damit überein. Auch das Griech. πορευειν scheinet hierher zu gehören, zumahl da in der Lakonischen Mundart πορ einen Fuß bedeutet. Fahren und fern, Engl. far, scheinen genau verwandt zu seyn, aber welches von beyden das Stammwort ist, bleibt einem so hohen Alterthume beyder Wörter unentschieden. Außer den schon angezeigten veralteten Bedeutungen kommt fih faren bey dem Ottfried auch für sich verändern vor, welches uns auf das Latein. varius führet. Ehedem bedeutet es auch pflügen, S. Fahre, Fahrt 1. und Furche.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.