Fall, der

Fall, der

Der Fall, des -es, plur. die Fälle, von dem folgenden Zeitworte fallen.

1. Der Zustand, da eine Person oder Sache fällt, ohne Plural. 1) In der eigentlichen Bedeutung des Zeitwortes. Der Fall eines schweren Körpers. Der Fall schadete dem Glase nichts. Einen gefährlichen, einen schweren Fall thun, von Menschen und großen Thieren. Je größer Baum, je schwerer Fall. Es geräth nicht jeder Fall. Zu Falle kommen, für fallen, ist im Hochdeutschen nur noch in figürlichem Verstande üblich, S. im folgenden, in andern Mundarten aber noch in dem eigentlichen. Der Fall eines Kindes, eines Betrunkenen u.s.f. Von einem Falle aufstehen. Von Gebäuden ist Einfall üblicher. Knall und Fall, in einem Augenblicke, plötzlich. 2) In der figürlichen Bedeutung. (a) In Rücksicht auf die verminderte Höhe. (a) Der Fall des Quecksilbers in der Röhre, des Wassers in dem Teiche. Der Fall eines Ganges, einer Fläche, wenn sie sich unter den angenommenen Horizont verlieret, wo doch das Fallen üblicher ist. (b) Verschlimmerung des bürgerlichen und sittlichen Zustandes, plötzliche Abnahme an Macht, Ansehen und Wohlstande. Der Fall eines Ministers, eines Günstlinges. Hochmuth geht vor dem Falle. Wenn ein Großer fällt, so ist er auch im Falle groß. Der Fall des Römischen Reiches, wo doch Verfall üblicher ist. In theologischem Verstande, der Zustand, da man sündiget. Der Fall Adams. Das Ebenbild Gottes vor dem Falle (nehmlich Adams.) Der Fall Petri. Petrus weinete bitterlich nach seinem Falle. In einer sehr eingeschränkten Bedeutung ist dieses Wort im gemeinen Leben ein gelinder Ausdruck der Schwängerung einer unverehlichten Person, doch nur mit den Zeitwörtern bringen und kommen, und dem Vorworte zu. Eine Jungfrau zu Falle bringen, sie schwängern. Sie ist zu Falle gekommen, geschwängert worden. (c) Das Absterben, besonders in der höhern Schreibart, das Absterben eines wichtigen Mannes. (b) In Rücksicht auf die damit verbundene Geschwindigkeit, Gewaltthätigkeit u.s.f. wo dieses Wort nur in den Zusammensetzungen Fußfall, Einfall, Ausfall, Abfall u.s.f. üblich ist. (c) Mit dem Nebenbegriffe des Unerwarteten bezeichnet dieses Wort nur den Umstand, wenn ein Grundstück durch Absterben seines Besitzers einen andern Herren bekommt, besonders von Lehengütern, wenn sie dem Lehensherren anheim fallen. Ein Gut stehet auf dem Falle, wenn es wahrscheinlich bald an den Lehensherren fallen wird. So oft das Lehen zu Falle kommt. S. Lehensfall.

2. Dasjenige, was fällt; doch nur in einigen bereits eingeführten Arten des Gebrauchs. (a) Im Bergbaue, eine gewisse Art von Klüften. Die Fälle verrücken den Gang. Der Gang wirft sich den Fällen entgegen, wenn er auf die Fälle zustreicht. In Flötzgebirgen nennet man Erz, welches in Nieren oder Nestern bricht, gleichfalls in dem sonst ungewöhnlichen Diminut. ein Fällchen. (b) Bey den Jägern heißt gefallenes, d.i. an Krankheit oder vor Hunger gestorbenes Wildbret, nicht nur Fallwildbret, sondern oft nur schlechthin Fall. (c) Der Theil des beweglichen Nachlasses eines verstorbenen Leibeigenen, der an den Grundherren fällt, heißet an einigen Orten gleichfalls der Fall. S. Hauptfall, Gewandfall. Ingleichen das Recht diesen Theil zu fordern. (d) Eine unerwartete angenehme oder unangenehme Begebenheit. Um diese Stärke zu zeigen, muß unsere Geduld durch manche Fälle geübt seyn, Dusch.


Der immer gleiche Sinn, den Fälle nicht zerrütten,

Haged.


Doch sind hier die zusammen gesetzten Glücksfall, Zufall, Unfall u.s.f. üblicher. (e) Alles, was geschiehet oder geschehen kann, so fern es geschiehet oder geschehen kann, eine jede Begebenheit, Zustand oder Umstand, so der Gegenstand einer Rede oder eines Satzes ist, nach dem Muster des Latein. casus, und Franz. cas. Ich befinde mich jetzt in dem Falle, den der Testator bestimmet hat. Sich auf alle Fälle gefaßt halten. Auf allen Fall (wenn es die Noth erfordert) will ich schon Rath schaffen. Ich schaffe auf alle Fälle (unausbleiblich) Rath. So oft sich der Fall begibt. Auf den Fall, in dem Falle, daß er sterben sollte, oder im Fall er sterben sollte, mit Auslassung des Bindewortes. Im Falle der Noth, wenn es die Noth erfordert. Im Falle seines Ausbleibens, Absterbens u.s.f. In diesem Falle (wenn dieses geschehen sollte) verlange ich es nicht. In dreyen Fällen bin ich verbunden, ihm zu helfen. Ich setze den Fall, daß er nicht käme. Man thut in diesem Falle gern ein Übriges. Ich befand mich in dem Falle derjenigen, die sich auf etwas besinnen wollen. Das war mir ein unvermutheter Fall.


Ein seltner Fall, daß ohne Schöne

Ein junger Schäfer glücklich war,

Gell.


Hierher gehöret auch das Oberdeutsche bedürfenden Falls, wenn es die Noth erfordert. S. Falls. In manchen Fällen (Dingen oder Stücken) hat er Recht, in vielen aber nicht. Alle diese Fälle gehören nicht hierher. Du setzest lauter unmögliche Fälle voraus.

3. Die Höhe, um wie viel ein Körper fällt, ohne Plural, doch nur von der Höhe, um welche die Oberfläche eines Körpers, besonders eines flüssigen, an einem Orte dem Mittelpuncte näher ist, als an dem andern. Das Wasser hat hier einen starken Fall. Der Fluß, die Wiese, der Fußboden hat vier Fuß Fall. Zuweilen auch mit dem Nebenbegriffe des Ortes, von welchem das Wasser fällt, da denn auch der Plural Statt findet. Nahe Bäche rauschten in kleinen Fällen sanft in das Getöse, Geßn.

Anm. Dieses Wort lautet in den meisten der jetzt angeführten Bedeutungen schon bey dem Ottfried, Notker und Tatian Fal. Einige Sprachlehrer hätten gern die Endungen der Nennwörter gleichfalls Fälle oder Fallendungen genannt; weil aber diese Ausdrücke zu buchstäbliche Uebersetzungen des Latein. casus waren, so fanden sie wenig Beyfall.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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