Kennen

Kennen

Kênnen, verb. irreg. neutr. Imperf. ich kannte; Conj. kennete; Mittelw. gekannt. Es bekommt das Hülfswort haben, erfordert allemahl die vierte Endung der Sache, und ist in einer doppelten Hauptbedeutung üblich.

1. Eine klare, besonders sinnliche Vorstellung von einem Dinge bekommen, doch nur, so fern man sich dabey bewußt wird, daß man von diesem Dinge schon vorher klare Vorstellungen gehabt habe; in der feyerlichen Schreibart erkennen. Endlich kannte ich ihn. Ehe denn einer den andern kennen möchte, Ruth 3, 14. Jetzt kenne ich die Hand, ich weiß, wem sie zugehöret. Das Merkmahl bekommt das Vorwort an. Man kennet den Vogel an den Federn. Ich kannte ihn an seiner Stimme. S. Erkennen 4. In dieser Bedeutung wird es auch zuweilen, aber nur selten, als ein Activum gebraucht. Ich wurde von ihm nicht gekannt, besser erkannt.

2. Eine durch die Sinne gewirkte Vorstellung von einem Dinge haben, so daß man es von andern unterscheiden kann; ein Ding vorher auf eine klare Art empfunden haben.

1) Überhaupt, wo die Art und Weise dieser Vorstellung durch Beysätze bestimmet wird. Ich kenne diese Waare nur von Hören sagen, aus der Beschreibung anderer. Ich kenne ihn nur von weiten, sehr wenig, nur dem Nahmen nach, von Gesichte u.s.f. Er kennet es sehr genau, von innen und außen.

2) In engerer Bedeutung, da die Art und Weise des Kennens so vielfach ist, als es Merkmahle gibt, welche der Grund der klaren Vorstellung sind. (a) In Ansehung des Nahmens, der Gestalt, des Ortes und anderer äußern Umstände. Die Karten kennen, wissen, wie sie heißen, und was sie bedeuten. Das Kind kennet die Buchstaben schon. Eines Hand kennen. Kennest du diesen Baum? weißt du wie er heißt, wo er wächst? Ich kenne dieses Land. Ich kenne den Menschen nicht. Alle Straßen in einer Stadt, alle Stege und Wege kennen, wissen, wie sie heißen, wo sie liegen und wohin sie gehen. Ein Ochse kennet seinen Herren. Man kennet ein Buch, so wohl wenn man dessen äußere Gestalt, dessen Besitzer u.s.f. weiß, als auch, wenn man von dessen Inhalt und Güte eine klare Vorstellung hat. In allen diesen und andern Fällen liegt der Umstand zum Grunde, daß man ein Ding vorher empfunden habe, daß man es aus eigener Erfahrung kenne. In andern ist dieser Begriff der herrschende. Ich kenne deinen Ungehorsam. Man kennet schon seine Beredsamkeit. In Afrika kennet man weder Kälte noch Schnee. Lernen sie mir nur die Liebe erst kennen, Gell. Ich empfand eine Blödigkeit, die ich bisher noch nicht gekannt hatte. (b) In engerer Bedeutung, aus dem Umgange kennen, Umgang mit jemand haben oder gehabt haben. Wir kennen jemanden nicht, wenn wir gleich seinen Nahmen und äußern Umstände wissen, aber keinen Umgang mit ihm haben, oder gehabt haben. Wir haben einander erst neulich kennen gelernet. (c) In noch engerer Bedeutung, die Eigenschaften, die Verhältnisse, das Wesen eines Dinges kennen, eine deutliche Vorstellung von demselben haben; eine Kenntniß, welche wiederum verschiedener Stufen fähig ist. Gott kennet die Herzen, 1 Kön. 8, 39; Luc. 16, 15. Er gibt vor, daß er Gott kenne, Weish. 2, 13. Der Herr kennet die Seinen, 2 Timoth. 2, 19. Ich kenne meine Leute. Man glaubt seinen Freund zu kennen; aber das Glück ändert oft viel. Sich selbst kennen, ist die größte Kunst. Wer ihn kennt, der kauft ihn nicht. Wenn manches Thier seine Kräfte kennete, es würde sich von dem Menschen oft nicht so mißbrauchen lassen. Stax kennet sich vor Stolz nicht mehr. Gemählde kennen. (d) In der engsten Bedeutung, mit Einfluß auf den Willen kennen. Sein Glück verblendet ihn, er kennet seine Freunde nicht mehr. Der Tapfere kennet keine Gefahr, er scheuet sie nicht. Sie kennen den Weg des Friedens nicht, Es. 59, 8. Der Mensch, der seinen Schöpfer zu kennen vorgibt, und doch nichts gegen ihn fühlt, verdient den Nahmen des Menschen nicht, Gell.

Das Hauptwort die Kennung ist nur in einigen Zusammensetzungen, allein aber nur in Einem Falle üblich, S. dasselbe besonders.

Anm. Im Isidor chennan, bey dem Ottfried kennen, im Angels. connen, im Engl. to ken, im Schwed. kaenna, im Dän. kiände. Es kommt mit dem Griech. κοννειν, κονειν, wissen, verstehen, des Hesychtus genau überein, so wie es in den ältern Sprachen und Mundarten auch häufig für wissen gebraucht wurde. Noch jetzt vertritt es dessen Stelle oft, doch nur alsdann, wenn die vierte Endung der Sache Statt findet, so wie wissen am häufigsten mit dem Bindeworte daß verbunden wird. Mit können scheinet dieses Zeitwort genau verwandt zu seyn, indem dieses sehr oft auch für wissen, verstehen, gebraucht wird. Bey dem Ulphilas ist kunnan und im Präsenti kann, wissen. Das Schwed. kaenna, und selbst unser Deutsches kennen, bedeutete ehedem noch, 1) durch die Sinne empfinden, von allen Sinnen gebraucht, welches vielleicht eine der ersten Bedeutungen ist, 2) lernen, 3) lehren, 4) anklagen, 5) zuschreiben, beylegen, 6) untersuchen, 7) bekennen, 8) erkennen, von der innern Überzeugung u.s.f. welche Bedeutungen zum Theil noch in den zusammen gesetzten bekennen und erkennen üblich sind. Wenn man erwäget, daß die Verdoppelung des n ein Zeichen eines Iterativi oder Intensivi ist, und daß alle Wirkungen des Verstandes von körperlichen Wirkungen hergenommen sind: so wird es nicht schwer seyn, die erste eigentliche Bedeutung dieses Wortes zu finden, welche sich indessen bey dem hohen Alter desselben nur errathen lassen würde. Die Wortfügung mit der zweyten Endung, ich kenne des Menschen nicht, Matth. 26, 72-74, ist im Hochdeutschen völlig ungewöhnlich.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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