- Noch
Nóch, eine Partikel, welche im Deutschen von einem großen Umfange ist, und bey einem gehörigen Gebrauche viel zu dem Nachdrucke und zu der Ründe der Rede beyträgt. Sie kommt in einer dreyfachen Hauptbedeutung vor, und stammet in denselben allem Ansehen nach auch aus einer dreyfachen Quelle her.
1. Als ein Bindewort oder Nebenwort, eine Verneinung zu bezeichnen, doch nur alsdann, wenn mehrere Dinge in einzelnen Sätzen oder Gliedern verneinet werden. Noch stelt uf ere noch uf tugent, der Burggraf von Riedenburg. Noch hende noch die fueze, eben derselbe. Noch nid noch has der nie gelag, ebend.
Verhindert, daß noch Recht noch Satzung reden kann,
Opitz.
Hier will noch Ceres weichen,
Noch Bacchus,
ebend.
Du sollst dich selber nicht noch loben noch verachten,
ebend.
In dieser Gestalt ist es im Hochdeutschen veraltet, und wir gebrauchen es nur zur Fortsetzung einer aus mehrern Gliedern bestehenden Verneinung, da denn das erste Glied weder bekommt, alle folgende aber mit noch verneinet werden. Er hat weder Geld noch Credit. Er ist weder krank noch gesund. Verrio ist weder zur Freundschaft fähig, noch fähig Freundschaft in andern zu erregen. Wenn mehrere Sätze auf einander folgen, welche aus solchen sich auf einander beziehenden Verneinungen bestehen, so wird das weder – noch so oft wiederhohlet, als der Sinn der Rede es erfordert. Weder Freude noch Leid, weder Glück noch Stern, weder Ruhm noch Ehre. Im Oberdeutschen wird für weder – noch, das weder zwey Mahl gebraucht, S. dieses Wort.
Indessen folgt dieses noch im Hochdeutschen nicht bloß auf weder, sondern es setzt eine jede vorher gegangene Verneinung fort, wenn selbige aus einzelnen Gliedern bestehet; ein Gebrauch, welchen Gottsched tadelte, der aber das Ansehen aller Zeiten und Schriftsteller und selbst das Lat. neque vor sich hat. Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen. Kein Mensch noch Thier. Ich habe es niemahls gesehen, noch etwas davon gehöret. Nichts Neues noch Erhebliches. Ein herrlicher Tod, nicht auf dem Rosenbette der weichlichen Muße, nicht gleichgültig dem Vaterlande, noch unberühmt bey den künftigen Enkeln.
Es lautet in dieser verneinenden Bedeutung schon im Isidor und bey dem Kero noh, und kommt so wohl in dem Klange, als in dem Gebrauche sehr mit dem Lat. nec. und neque überein. Da es eigentlich auch nicht, und nicht bedeutet, so ist sehr wahrscheinlich, daß es hier aus der alten Verneinung ni, und oh, auch zusammen gesetzet worden, so wie bey den ältesten Deutschen Schriftstellern joh, von ja, und och, auch, als ein Gegensatz von noch vorkommt. Die Lateinischen nec und neque sind auf ähnliche Art aus ne und ac, und ne und que zusammen gesetzet.
2. Als ein Nebenwort der Zeit oder Bindewort, die Fortdauer einer gegenwärtigen Handlung zu bezeichnen, für bis jetzt, obgleich mit einem Nebenbegriffe, welcher sich besser empfinden, als durch Worte ausdrucken lässet; im Gegensatze des nicht mehr. Der Begriff des Gegenwärtigen beziehet sich alle Mahl auf die redende Person, oder auch auf die gemeldete Handlung. Er lebt noch. Ich weiß es noch. Bist du noch böse? Ist er noch da? Er ist noch immer krank. Es ist noch früh, im Gegensatze des, es ist nicht mehr früh. Als er noch schlief. Die Witterung war noch günstig, als er ausreisete. Kann es noch bewerkstelliget werden? Wohl ihm, wenn er es noch ändern kann, wenn es jetzt zur Änderung nicht zu spät ist. Als noch das Vaterland deine Hände bewaffnete, Dusch.
Warum er unsrer Welt vor tausend andern rief,
Als alles in der Nacht der Möglichkeit noch schlief,
Gieseke;
besser: als noch alles u.s.f. Weißt du noch, wie schwer sein stolzes Herz mir den Sieg machte? Dusch. So oft ich ihn noch gefraget habe, hat er es alle Mahl geläugnet. Die so genannten Großen, werden oft noch bey ihrem Leben sehr klein. Sie nahmen euch doch noch mit?
Wo es in der gewöhnlichen erzählenden Wortfügung nach einer nachdrücklichen Inversion auch voran gesetzet werden kann. Noch ist er nicht da, für er ist noch nicht da. Noch niemahls habe ich so etwas gesehen. Noch ist es Zeit. Noch zur Zeit nicht, gegenwärtig noch nicht. Aber ach! noch irr ich immer hin, wohin der Gram mich bannt.
Umkränzt mit Rosen eure Scheitel,
Noch stehen euch die Rosen gut,
Haged.
Es kann, ob es gleich ein Nebenwort ist, nicht allein Zeitwörtern, sondern auch andern Redetheilen zugesellet werden, wo die vorige Bedeutung im Ganzen bleibt, ob sie gleich einzelnen Fällen zuweilen manche Nebenbedeutungen an sich nimmt. Mit noch blutigen Händen. Besonders in Verbindung mit Nebenwörtern. Noch heute soll es geschehen. Ich habe ihn noch gestern gesehen, erst gestern. Da es noch kaum Tag war, vix dum.
Der frühe Hahn hat kaum noch den Morgen gegrüßt,
Geßn.
Kaum hatte noch des Schneiders Hand
Dem Affen ein erflickt Gewand
Von bunten Flecken umgehangen,
Gell.
In dem Schooße des Glückes ist noch selten ein Mann erzogen worden,
Dusch.
Zuweilen bedeutet es sehr bestimmt bis jetzt. Der niederträchtigste Mensch, den ich noch gesehen habe. Oft aber druckt es auch eine von jetzt an noch künftige Zeit aus, wo es auch zu der folgenden steigenden Bedeutung gehören kann. Er wird noch kommen. Er kommt noch. Er wird schon noch kommen. Es findet sich wohl noch jemand, der es thut. Was wirds noch werden? Wie lange sollte deine Blüthe und deine Schönheit diese Blumen wohl noch überleben? Dusch. Wo es denn oft in der vertraulichen Sprechart zugleich andeutet, daß eine Sache noch nicht geschehen ist. Er soll noch wieder kommen. Ich soll es noch wieder haben.
In Gesellschaft mit den verneinenden Wörtern nicht, nichts, nie, niemahls u.s.f. hat es die einfache Bedeutung des bis jetzt. Er ist noch nicht da, im Gegensatze des schon. Es ist noch nicht Zeit. Das habe ich noch nie gesehen. Das ist noch niemahls geschehen. Sagst du mir es noch nicht, wo er ist? Noch ist die Sonne nicht hinter dem Berge hervor, Geßn.
Auch in dieser ganzen Bedeutung lautet es schon bey den ältesten Oberdeutschen Schriftstellern noh, im Nieders. nog, nah. Von dem vorigen ist es ganz verschieden, vielleicht auch von dem folgenden. Es scheinet in der Bedeutung der gegenwärtigen Zeit mit nahe, nun, und neu verwandt zu seyn, zumahl da Kero in dieser Bedeutung nunoh für noch gebraucht. Die Lateiner drucken es durch adhuc, etiam nunc, etaimnum, etiam dum u.s.f. aus. Im Oberdeutschen und zuweilen auch im Hochdeutschen wird dafür auch das verstärkte annoch gebraucht. S. dasselbe.
3. Als ein Nebenwort, welches eine steigernde, vermehrende Bedeutung hat.
Eine Zahl oder Menge zu steigern. Er sagte noch, u.s.f. Dazu kommt noch, es kommt noch dazu, noch kommt dazu, welche Inversionen doch nicht in allen Fällen angehen. Außer dem habe ich noch dieses. Es sind ihrer noch mehr. Ich habe dir noch viel zu sagen. Ich habe dir noch etwas zu sagen. Ich will sehen, ob ich nur noch einige Tage Aufschub erhalten kann. Einige Tage sollten nur noch unsere Glückseligkeit verschieben. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilie Bruneschi, Less. Eines müssen sie mir noch versprechen. Ich habe noch für ein größer Geschenk gesorgt, Gell. Für ein noch größeres Geschenk, würde den Comparativ steigern. Und wenn ich auch noch zehn Jahre auf seine Hand warten sollte, Gell. Ich muß dich doch noch etwas fragen, ebend.
Besonders mit Zahlwörtern. Sage mir es noch Ein Mahl. Thue es nur noch ein Paar Mahl. Wenn du noch Ein Mahl wieder kommst. Ich sage es noch Ein Mahl. Noch zwey Mahl so viel. Noch Ein Mahl so lange. Ich bin des Todes, wenn das noch Eine Stunde währet. Ingleichen mit Comparativen. Noch größer, noch länger, noch weiter. Das wird meinen Schmerz noch vergrößern, noch größer machen. Das macht ihn mir nur noch lieber. Sie ist noch tugendhafter als Doris.
Im gemeinen Leben pflegt man das einfache noch zuweilen für noch Ein Mahl so zu setzen, welches aber die gute Schreibart gern vermeidet. Vorhin sang sie noch so artig, noch Ein Mahl so artig. Es muß noch so viel seyn, noch Ein Mahl so viel.
Sehr oft steigert es auch die Intension, besonders anderer Nebenwörter. Das ist noch weit gefehlt. Es ist noch lange nicht Tag. Kommen sie noch so spät? Mancher der sich für noch so weise hält, ist dennoch ein Thor. Kaum hört man noch ein Vögelchen im Gebüsche zwitschern, Weiße. Machen sie mir noch so viele Vorwürfe, Gell. Wenn er mich auch noch so sehr bitten sollte. Was ist der beste Mensch, der auf der Bahn des Lebens noch so vorsichtig wandelt? Gell. Wenn es mir auch noch so sauer werden sollte, ebend. Und wenn es auch noch so sehr mit meinen Wünschen stritte, ebend. Sie habe ihrem Bräutigam noch so viel zu danken, so bin ich ihnen doch eben so viel schuldig, ebend. Ich mag ihm noch so sehr zureden, er thut doch was er will. Ich konnte kaum den Thurm und also noch viel weniger die Kirche sehen.
Oft bedeutet es, dessen ungeachtet, nach allem was vorher geschehen, oder im vorigen gesagt worden. Du kannst noch lachen? Du unterstehest dich noch, mich darum zu bitten? Dieß könnt ihr noch von mir begehren? Gell. Du unterstehest dich noch, ihn zu vertreten und zu entschuldigen? ebend. Und er konnte noch die Wahrheit für Schmeicheley halten. Ich hatte es deutlich gesehen, und er wollte es noch läugnen.
Welche derbe grobe Speise!
Und ihr zankt euch noch um sie?
Michäl.
Es kommt in dieser Bedeutung dem davon gebildeten weit bestimmtern dennoch nahe, und wurde ehedem gemeiniglich dafür gebraucht. Schon im 8ten Jahrhunderte kommt das noh für dennoch vor, und Ottfried und seine Nachfolger gebrauchen es beständig so, dagegen bey den Schwäbischen Dichtern ie noh dafür gefunden wird. Noch ließ er mit nichte darvan, Theuerd. Kap. 63.
Wiewohl mein arbeit ist verlorn
Bißher gewesen an dem held gehewr,
Noch so wil ich mein abentheuer
Versuchen u.s.f.
Theuerd. Kap. 57.
Wo man auch häufig noch dannoht für dennoch findet. Siehe Dennoch.
Oft dienet dieses noch bloß zur Intension der ganzen Rede, und bekommt alsdann allerley kleine Nebenbedeutungen, welche sich schwerlich mit andern Ausdrücken erschöpfen lassen. Er befahl es mir noch auf seinem Todbette. Wenn er mir es noch gesagt hätte, so sollte es mich nicht verdrießen. Das ginge schon noch an. Das läßt sich noch essen. Auch sein Vergehen ist noch ein Verdienst, Gell. Auch selbst der Zorn läßt ihr noch schön, ebend. Sie sollen auch nach meinem Tode noch glücklich seyn.
Anm. Auch in dieser Bedeutung bey den ältesten Schriftstellern noh, im Nieders. nog und noch. In einigen Fällen der 3ten Bedeutung kann es wohl eine Figur der zweyten seyn; allein in den meisten ist es doch wohl ein eigenes Wort, welches entweder zu nug in genug gehöret, oder auch von auch, vermittelst des n als eines müßigen Vorschlages, welcher sich vor so vielen andern Wörtern befindet, gebildet worden, zumahl da man es im Lat. in den meisten Fällen durch etiam, etiam si u.s.f. ausdrucken muß.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.