- Ort, der
Der Ort, des -es, plur. die Orte und Örter, Diminut. das Örtchen, Oberd. Örtlein, ein Wort von vielfachen Bedeutungen, welche sich doch insgesammt aus einem gemeinschaftlichen Stammbegriffe herleiten lassen.
1. * Ein Theil eines Ganzen, ein abgebrochenes Stück, ein Stückchen; eine Bedeutung, welche sich nur noch in einigen Überresten erhalten hat. Im Engl. sind Orts Brocken, der übrig gebliebene Theil des Brotes, und in weiterer Bedeutung jeder Speise. Im Niedersächsischen ist Ort und Ortels dasjenige, was das Vieh von dem Futter übrig lässet und verwirft; Ortstroh, das von dem Viehe übrig gelassene Futterstroh, orten, örden, verorten, das Beste aus dem Futter und den Speisen aussuchen, und das Schlechtere verwahrlosen. Im Irländischen ist Ordo ein Überrest, ein übrig gebliebenes Stück, und im Norwegischen Or ein Bröckchen. Wenn es hier nicht zu der folgenden Bedeutung des Letzten gehöret, so stammet es vermuthlich von ären, arare, ab, so fern es ehedem überhaupt graben, zermalmen u.s.f. bedeutet hat, und wovon wir mit dem Zischlaute noch scheren, theilen, haben. Besonders scheinen hierher diejenigen Fälle zu gehören, wo Ort von einem Gewichte, einer Münze und einem Maße gebraucht wird, wo es gemeiniglich den vierten Theil eines größern bezeichnet, und, wenn man das v und q oder k als unwesentliche Vorlaute betrachtet, alsdann mit vier, vierte und quartus, verwandt ist.
1) Ein Gewicht, eine besonders in Niedersachsen und Dänemark übliche Bedeutung, wo der Ort oder im Diminut. das Örtchen, der vierte Theil eines Quentes ist; in welchem Verstande es im Hannöverischen und Bremischen vorkommt. An andern Orten wird das Quent dafür in vier Pfennige getheilet. Der Plural hat hier beständig Orte, oder nach der Analogie anderer Wörter, welche eine Zahl, ein Maß, ein Gewicht u.s.f. bedeuten, nur Ort, wie es denn in dieser Bedeutung auch wohl im sächlichen Geschlechte gebraucht wird, das Ort.
2) Eine Münze, welche gemeiniglich auch der vierte Theil einer größern ist, und wo der Plural gleichfalls Orte oder Ort lautet, das Geschlecht aber auch oft sächlich ist, das Ort. (a) In vielen Gegenden Ober- und Nieder-Deutschlandes ist der Ort oder das Ort der vierte Theil eines Reichsthalers, daher eine Münze, welche 6 Gr. gilt auch ein Ortsthaler, oder ein Reichsort genannt wird. Es kostet drey Thaler und einen Ort. Im Cöllnischen hat ein Ort oder Ortsthaler 2 Schillinge, 5 Blafferts, oder 240 Häller; zwey Ort machen daselbst einen Herrengulden. b) Das Örtchen, im Diminut. ist in Ostfriesland der vierte Theil eines Stübers, welcher 21/2 Witten hält, so daß 216 Örtchen auf einen Reichsthaler gehen. In Schweden ist Örtig oder Örtug der dritte Theil eines Öres, oder acht Pfennige. Auch im Dänischen hat man Orte, und im Pohln. ist Urt gleichfalls eine Münze. In dieser Bedeutung einer Münze leiten es die meisten Sprachforscher von der folgenden Bedeutung einer Ecke her, weil ein in vier Theile getheiltes Stück Ecken bekommt. Allein wenn man den ganzen Umfang dieser Bedeutung zusammen nimmt, so muß man den Stamm höher suchen, welcher denn vermuthlich kein anderer ist, als das schon gedachte ären, scheren, theile.
3) Eines Maßes, welches gleichfalls gemeiniglich der vierte Theil eines größern ist; Plural Orte oder Ort. Es ist in diesem Verstande im Niederdeutschen am üblichsten. In Lübeck ist das Ort der vierte Theil eines Quartieres, und im Osnabrückischen der vierte Theil einer Kanne oder eines Maßes, welcher daselbst wiederum vier Helfchen hat. Auch in Schweden ist Ort ein Getreidemaß, deren 32 eine Kanne, 1792 aber eine Tonne machen. Im Salzwerke zu Halle ist Ort der vierte Theil einer Pfanne. In noch weiterer Bedeutung, aber mit andern Endlauten gehören auch Ohr, Öhr, Arche, Arke, Urne, Urceus, Arca, das Narto, ein Becken, in den Monseeischen Glossen, und das alte Gothische Aurahja, ein Grab, hierher, welche insgesammt in der Bedeutung eines hohlen Raumes mit dem vorigen überein kommen. Auch das Ort im folgenden, so fern es im Bergbaue einen Theil einer Grube bedeutet, lässet sich hierher rechnen.
2. Die Schärfe, Spitze, Ecke eines Dinges; eine mit der vorigen sehr genau verwandte Bedeutung, welche im gemeinen Leben Ober- und Nieder-Deutschlandes noch häufig genug vorkommt.
1) Überhaupt, eine jede Spitze, Schärfe oder Ecke eines Dinges; wo der Plural gemeiniglich Örter lautet. Seiner Zungen Ort, für Spitze, heißt es bey dem Jeroschin. Vierörtig kommt für viereckig noch im gemeinen Leben Ober-Deutschlandes vor, so wie scharfortig, einen scharfen oder spitzigen Winkel, stumpfortig, einen stumpfen Winkel, und rechtortig, einen rechten Winkel habend. Im Bergbaue werden die Spitzen an den Bergeisen Örter genannt. Die Örter ausschmieden, die abgenutzten Spitzen wieder spitz schmieden. Sines Swertes ort blikke, Stryker, die Blicke von der Schärfe seines Schwertes. Im Nieders. ist der Ort, wie im Angels. Ord, eine jede Ecke, ein jeder Winkel. Um den Ort gehen, um die Ecke gehen. Daher Orthaus daselbst ein Eckhaus, Ortstein einen Eckstein bedeutet. Auch eine Landspitze an der Mündung zweyer in einander fließender Flüsse, oder an der See, ist unter dem Nahmen eines Ortes bekannt, daher sich manche eigenthümliche Nahmen auf dieses Wort endigen; z.B. Daggerort, Leerort u.s.f. Ein kleiner übrig bleibender Platz in einem Garten, in einem Acker, heißt im Nieders. ein Örtken, gleichsam ein Eckchen, ein Winkelchen. In den Monseeischen Glossen ist Ozth gleichfalls ein Winkel. Ähre, Arista, Ärker, Horn, Hort, κερας, und hundert andere sind gleichfalls damit verwandt, indem der Begriff der Hervorragung, der Schärfe, der Spitze, in allen der herrschende ist. S. diese Wörter. In einer alten Bibelübersetzung von 1477 werden die Hörner oder Ecken des Altars Örter genannt.
2) Ein mit einer scharfen Spitze begabtes Ding; wo der Plural gemeiniglich Orte hat. Besonders pflegen die Schuster ihre Ahle Orte zu nennen.
3. * Das Erste und Letzte an einem Dinge, der Anfang und das Ende in Ansehung der Ausdehnung; eine noch im gemeinen Leben hin und wieder übliche Bedeutung, welche eine Figur der vorigen ist, in der anständigen Schreib- und Sprechart der Hochdeutschen aber, einige Zusammensetzungen ausgenommen, nicht mehr vorkommt. Des Lebens Ort, des Lebens Ende, Jeroschin. Bis zu Tages Ort, bis zum Anbruche des Tages, Narrenschiff. Er sagt es ihm von Ort, er erzählet es ihm von Anfange, in einem alten Gedichte bey dem Eckard, nach dem Frisch. Bey dem Notker ist Ortfruma, und bey dem Hornegk Orthab, der Urheber, Anfänger eines Dinges, im Angels. Ort der Ursprung, Anfang, und im Schwed. Ort das Ende. Wer siehet nicht, daß in Ansehung des Anfanges unser er, erst, ur und Ur, das Lat. oriri, ordiri, Ortus, Origo, und in Ansehung des Letzten, des Endes, das Griech. ορος, das Ende, das Lat. Ora, in der Monseeischen Glosse Ort, der Rand, und mit dem B auch unser Bord und Bort dahin gehören? Tewrdank der Held – trat an des Paumbs Ort, Theuerd. Kap. 28.
Was ist doch unser Leben,
Die wir ohn End und Ort in Furcht und Troste schweben?
Opitz,
wo End und Ort weiter nichts als Ende zu bedeuten scheinen. Im gemeinen Leben sagt man noch, eine Sache am rechten Orte angreifen, am rechten Ende. Im Nieders. ist es in dieser Bedeutung des Endes noch völlig gangbar. S. Ortband, Ortbret und andere der folgenden Zusammensetzungen.
Vermuthlich gehöret hierher auch die im Bergbaue übliche Bedeutung, wo es das Ende eines jeden horizontal getriebenen Berggebäudes, ferner die Stelle in einer Berggrube bedeutet, wo der Bergmann arbeitet, und hernach in weiterer Bedeutung eine jede kurze horizontale Aushöhlung; wenn es hier nicht vielmehr zur ersten Bedeutung eines Theiles, eines kurzen Stückes, eines Endes, zu rechnen ist. Der Plural hat hier beständig Örter. Alle horizontale und in die Quere gehende Wege und Öffnungen, welche zum Theil auch Querschläge genannt werden, heißen daselbst Örter. Suchörter, deren Absicht bloß das Nachsuchen ist, Feldörter, welche in keine große Tiefe getrieben werden, Füllörter, wo die Tonnen gefüllet werden, u.s.f. Örter anstellen oder treiben, solche horizontale Öffnungen machen. Vor Ort kommen, an das Ende eines horizontalen Berggebäudes. Der Bergmann arbeitet vor Ort, wenn er seine Arbeit am Ende der Grube auf dem Gesteine hat. Im Schwed. lautet es in dieser Bedeutung gleichfalls Ort.
4. Derjenige Raum, welchen ein Körper einnimmt oder doch einnehmen kann, ein bestimmter Theil des Raumes; eine gleichfalls mit den vorigen genau verbundene Bedeutung, entweder, so fern das Ende des Raumes, dessen Gränze, figürlich für den Raum stehet, in welchem Verstande auch Gränze und das Latein. Finis üblich sind, oder auch, so fern Ort, dem dritten besondern Falle der ersten Bedeutung zu Folge, einen hohlen, vertieften Raum, und hernach figürlich einen jeden bestimmten Raum bedeutet, auf welche Art auch das Latein. Locus eine Figur von Loch ist.
1) Überhaupt, der Raum oder Theil des Raumes, welchen ein Ding einnimmt oder doch einnehmen kann, und in weiterer Bedeutung auch ein Theil eines Dinges in Ansehung des Raumes, so fern sich ein Ding oder auch nur ein Umstand daselbst befindet oder befinden kann. Der Plural hat hier im gemeinen Leben zwar häufig Örter, in der anständigern Schreib- und Sprechart, nach dem Muster der Oberdeutschen, aber alle Mahl Orte. In der Metaphysik nennet man denjenigen Raum, welchen ein Körper wirklich einnimmt, den absoluten Ort, den Theil des Raumes aber, welchen er in Ansehung anderer Körper einnimmt, sein Verhältniß gegen die neben ihm befindlichen Dinge, die Stelle, den relativen Ort. Im gemeinen Leben begreift man beyde unter dem Nahmen des Ortes schlechthin. Es lag an diesem Orte. Lege es an jenen Ort. Ein jedes Ding an seinem Orte. Ich habe es an allen Orten gesucht, in allen Theilen des Raumes, wo es sich nur befinden konnte. Ein bequemer Ort. An welchem Orte? wo? Etwas an dem rechten Orte suchen. An unzähligen Orten. Jemanden Zeit und Ort bestimmen. Eine Pflicht aller Zeiten und Örter, Gell. besser Orte. Sich einen Ort merken. Das lasse ich an seinen Ort gestellet seyn, das lasse ich unentschieden. Das Feuer brach an vier Orten aus. Die Stadt wurde an drey Orten zugleich angegriffen. Geistige Substanzen sind durchdringbar und nehmen keinen Ort ein. Das stehet hier am unrechten Orte. Aller Orten, für an allen Orten.
Die Lust –
Schleicht Bösen aller Orten nach,
Haged.
Raum, Ort, Stelle und Platz kommen in gewissen Fällen mit einander überein, gehen aber auch in vielen Stücken von einander ab, S. diese Wörter. Hier bemerke ich nur, daß Ort einen in seine Gränzen eingeschlossenen obgleich unbestimmten Raum bezeichnet, welches aus der Abstammung dieses Wortes erhellet, da es eigentlich das Letzte, Äußerste, die Gränze des Dinges andeutet. Der Ort, wo ein Ding stehet oder lieget, kann zwar auch Ort heißen, wird aber doch in manchen Fällen lieber die Stelle und Stätte genannt, S. diese Wörter. Daher ist in den Stellen, er wäget ein Land aus seinem Ort, Hiob 9, 6, und, sein Ort kennet ihn nicht mehr, Kap. 7, 10, freylich das Wort Stelle, welches Michaelis dafür setzet, schicklicher.
2) In einigen engern Bedeutungen. (a) In der höhern Geometrie ist der Ort, im Plural die Orte, diejenige Linie, durch welche eine unbestimmte Aufgabe geometrisch aufgelöset wird; Locus geometricus. Der Ort an einer geraden Linie, oder ein einfacher Ort, wenn es eine gerade Linie ist. Der Ort an einem Zirkel, oder ein ebener Ort, Locus planus, wenn es eine Zirkellinie ist. Der Ort an der Parabel, Hyperbel u.s.f. oder ein körperlicher Ort, Locus solidus, wenn es eine Parabel, Hyperbel u.s.f. ist. (b) Bey den Markscheidern ist der Ort oder die Ortung ein jeder Punct in der Grube, so fern derselbe durch eine perpendiculäre Linie am Tage, d.i. auf der Oberfläche der Erde, angegeben wird, wo es auch wohl im sächlichen Geschlechte gebraucht wird. Ein Ort, oder einen Ort, eine Ortung an Tag bringen, auf der Oberfläche der Erde bezeichnen. S. Ortpfahl und Ortung. (c) Derjenige Raum in einer Schrift, in welchem sich ein Satz, eine Rede, ein Ausspruch u.s.f. befindet; im Plural die Orte. Das ist schon an einem andern Orte gesagt worden. Davon wird an seinem Orte geredet werden. Dieses Wort kommt an mehrern Orten vor. Der Satz, die Rede, der Ausspruch selbst heißt die Stelle. (d) * Die Himmelsgegend; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Die vier Winde aus den vier Örtern des Himmels, Jerem. 49, 36. Die vier Örter des Erdreichs, Es. 11, 12; wo es auch Enden oder Ecken bedeuten kann. (e) * Ein Theil der Erdfläche, ein in seine Gränzen eingeschlossener Theil der Oberfläche der Erde, ein Bezirk; im Plural die Örter und im Oberdeutschen die Orte. In den Orten der Wüste wohnen, Jerem. 9, 26. Im Hochdeutschen ist auch diese Bedeutung unbekannt, im Oberdeutschen aber kommt sie mehrmahls vor. So werden die Cantons der Schweizer daselbst nur Orte, oder Ortschaften genannt. Das gleichbedeutende Canton stammet auf ähnliche Art von Kante, Ecke, ab, wie Ort von Ort, Ecke. Die Fränkische Reichsritterschaft wird in sechs Orte oder Örter, d.i. Kreise, getheilet, welche Odenwald, Gebürg, Röhn und Werra, Steyerwald, Altmühl und Buchau heißen. Die Schwäbische Ritterschaft bestehet aus fünf Orten. (f) In engerer Bedeutung, ein von Menschen bewohnter Theil der Erdfläche; wo es ein allgemeiner Ausdruck ist, welcher Städte, Schlösser, Flecken, und Dörfer unter sich begreift. Der Plural hat hier im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart Örter, im Oberdeutschen und der anständigern Schreibart aber Orte. An meinem Orte, in der Stadt, dem Flecken, dem Dorfe, woher ich gebürtig bin, wo ich wohne. Ein fester Ort. Einen Ort mit Sturm erobern. An vielen Orten hält man es anders. Berlin ist sein Geburtsort, Wohnort, der Ort seines Aufenthaltes. An einigen Orten in Franken. Durch einen Ort reisen. Ein offener Ort. Dieß Orts, an diesem Orte, hiesigen Orts, an hiesigem Orte, hiesiger Orten, an oder in hiesigen Orten, was Orten, für wo, sind den Oberdeutschen am geläufigsten. (g) In noch engerer Bedeutung, ein kleinerer von Menschen besuchter Raum, auf eine ganz unbestimmte Art, ob es ein Gebäude, ein Haus, ein Zimmer u.s.f. ist. Im Plural gleichfalls im gemeinen Leben Örter, und in der anständigern Sprechart Orte. An öffentlichen Orten, Less. Verdächtige Örter oder Orte besuchen, verdächtige Häuser. Etwas an öffentlichen Orten aufschlagen. (h) Figürlich, die Person oder Personen selbst, doch nur in einigen Arten des Ausdruckes; im Plural die Orte. Etwas gehörigen Ortes, oder am gehörigen Orte melden, es der gehörigen Person melden. Es ist höhern Orts befohlen worden, im Oberdeutschen, von höherm Orte, d.i. von einer höhern Person. Etwas von hohen Orten, oder hohen Orts, her haben. Ich meines Orts, was mich betrifft. Er seines Orts, was ihn betrifft. Wir unsers wenigen Orts, was unsere geringe Person betrifft.
Anm. 1. In dieser ganzen vierten Bedeutung schon bey dem Ottfried Ort, im Schwed. Ort. Die Abstammung ist schon oben bemerket worden. Außer den daselbst bemerkten Verwandten gehören auch noch hier, dort (gleichsam da -ort) und wärts zu dem Geschlechte dieses Wortes. Einige Mundarten sprechen das o in diesem Worte gedehnt aus, als wenn es Ohrt geschrieben würde. Im Hochdeutschen lautet es geschärft, wie es die Regel erfordert.
Anm. 2. Im Oberdeutschen ist dieses Wort sehr häufig, obgleich nicht durchgängig, sächlichen Geschlechtes, welches Geschlecht auch wohl, doch nur in einigen oben bemerkten einzelnen Fällen im Hochdeutschen vorkommt; das Ort. Das Ort der Herrlichkeit, Opitz. Im Theuerdanke kommen in einer und eben derselben Bedeutung bald der Ort bald auch das Ort vor.
Anm. 3. So wie man von Locus im Latein. so wohl loci als loca sagt, so ist im Plural von diesem Worte auch Örter und Orte üblich. Die Fälle, wo sie gebraucht werden, sind schon bey jeder Bedeutung angeführet. Im Ganzen erhellet daraus, daß, so wie in andern ähnlichen Fällen, Örter mehr Niederdeutsch und gemein, Orte aber mehr Oberdeutsch, edel und anständig ist. Daher ist in denjenigen Fällen, wo Ort nur noch im gemeinen Leben gebraucht wird, auch nur allein der Plural Örter üblich. Sollte das Wort in diesen Bedeutungen einmahl in die edlere Schreibart aufgenommen werden, so müßte es im Plural gleichfalls Orte haben. Verschiedene Sprachforscher, und unter andern auch Stosch, haben behauptet, der Plural laute Orte, wenn das Wort ganz unbestimmt gebraucht werde, niemand kann an allen Orten seyn, ich bin aller Orten herum gelaufen; aber Örter, wenn es mit mehr Bestimmung gebraucht werde, und entweder das bestimmte Geschlechtswort, oder ein anzeigendes Fürwort vor sich habe; die Örter, wo wir vormahls so vergnügt waren. Allein aus dem vorigen und den daselbst angeführten Beyspielen erhellet, daß sich der Gebrauch an diese Bestimmung nicht bindet, welche auch in der Sache selbst keinen möglichen Grund hat. Der Plural auf -er scheinet aus derjenigen Mundart herzustammen, welche dieses Wort im sächlichen Geschlechte gebraucht, da doch einmahl die meisten Pluralia auf -er sächlichen Geschlechtes sind. Da nun dieses Geschlecht im Hochdeutschen nicht üblich ist, so könnte man den Plural Örter füglich ganz entbehren. In dem 15ten Bande der Berliner allgemeinen Deutschen Bibliothek, machte ein Recensent zu der jetzt angeführten Bestimmung der Stosch folgenden Anmerkung: »Das Wort Orte, als die mehrere Zahl von Ort, möchten wir nicht gern annehmen, sondern lieber sagen, daß Orten (denn bloß mit dieser Endung kommt es vor) adverbialiter gebraucht werde; z.B. aller Orten, welches auch richtiger ist, als an allen Orten.« Hier sind so viele Fehler als Sätze, deren Unrichtigkeit einem jeden aus dem vorigen einleuchten wird.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.