Pflegen

Pflegen

Pflêgen, verb. reg. et irreg. welches im letztern Falle im Imperf. ich pflog, (bey einigen ich pflag,) und im Mittelw. gepflogen, hat. Es ist in doppelter Gestalt üblich.

I. Als ein Activum, wo es im Oberdeutschen gemeiniglich irregulär abgewandelt wird; ich pflege, du pflichst, er pflicht; Imperf. ich pflag oder pflog; Mittelw. gepflogen. Im Hochdeutschen gehet es regulär, eine einzige Bedeutung ausgenommen.

1. * Befehlen, anordnen; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, in welcher es im Sachsenspiegel vorkommt. Es ist in dieser Bedeutung mit den Geschlechtsverwandten auflegen, anlegen und dem veralteten Lage, ein Gesetz, verwandt, so wie denn auch unser Pflicht von dieser Bedeutung abzustammen scheinet. Siehe dasselbe.

2. * June haben, besitzen; eine gleichfalls längst veraltete Bedeutung, von welcher Frisch einige Beyspiele anführet. Das Land – des de Christen plagen e, welches die Christen vorher im Besitze hatten, in den Scriptor. Brunsuic. Th. 3. S. 64. Der des Glaubens pfligt, wer Glauben hat, Jeroschin bey dem Frisch. Wiltu gesigen? Duldin pflig, willst du siegen, so habe Geduld, ebend. Bey dem Notker ist Inphliht der Besitz.

3. * Verwalten, vorgesetzet seyn, die Aufsicht über etwas haben; so wie die vorigen gleichfalls mit der zweyten Endung. Die pflegint werelt, die die Welt regieren, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno. Die knappen, die der Muile pflegen, in der Parän. Tyrol. Sit ich von ersten huses pflag, seitdem ich zuerst dem Hauswesen vorstand, Winsbeck. Eleazar aber und Ithamar pflegten des Priesteramts, 4 Mos. 3, 4. Des Amts sollen sie (die Leviten) nicht pflegen, 4 Mos. 8, 26, sie sollen das Priesteramt nicht verwalten. Die des Altars pflegen, genießen des Altars, 1 Cor. 9, 13. Wir haben einen Altar, davon nicht Macht haben zu essen, die der Hütte pflegen, Ebr. 13, 10. Doch auch diese Bedeutung ist im Hochdeutschen veraltet, in welcher seines Amtes pflegen im Oberdeutschen auch dasselbe in einzelnen Fällen ausüben, bedeutet.

4. * Sorge für etwas tragen, auch mit der zweyten Endung; in welcher es im Hochdeutschen gleichfalls unter die veralteten gehöret.


Gott der Herr wolle Ewr pflegen

Und euch halten in seiner Hut,

Theuerd. Kap. 106.


Durch dich bin ich ans Licht gezogen

Auf dich allein, du, du hast mich gepflogen,

Opitz.


Sie sollen die Wohnung tragen mit allem Geräth, und sollen sein pflegen, 4 Mos. 1, 50.

5. * In engerer Bedeutung, jemandes Ehre und Bestes befördern; gleichfalls mit der zweyten Endung.


Suer des biderben schwache pfliget

Dabi des bösen wol,

Ditmar von Ast.


Pflege du des Volks vor Gott, 2 Mos. 18, 19; diene du dem Volk in dem, was es mit Gott zu handeln hat, Michael.

6. * In noch engerer Bedeutung, nöthige Handreichung leisten, und zugleich alle unangenehme Empfindungen von jemanden zu entfernen suchen. Im Oberdeutschen bekommt es auch hier die zweyte Endung, in welcher es auch wohl im Hochdeutschen gebraucht wird, besonders in der poetischen und höhern Schreibart. Zugleich wird es in dieser Bedeutung im Hochdeutschen regulär abgewandelt, ich pflegte, habe gepflegt, dagegen es im Oberdeutschen, wie in den vorigen Bedeutungen, irregulär gehet. Lasset meinem Herrn Könige eine Jungfrau suchen, die sein pflege, 1 Kön. 1, 2. Und sie war eine sehr schöne Dirne und pflegte des Königes, B. 4. Pflege deines Vaters im Alter, Sir. 3, 14. Seiner Gesundheit pflegen, alles sorgfältig vermeiden, was derselben nachtheilig seyn könnte; in welcher R.A. es auch im Hochdeutschen nur allein in der zweyten Endung üblich ist.


Und muß des kranken Weibes pflegen,

Gell.


Indessen wird es in diesem Verstande im Hochdeutschen auch sehr häufig mit der vierten Endung gebraucht. Ein Kind pflegen und warten. Einen Kranken pflegen. Ein Thier pflegen,

als wenn es ein Mensch wäre. Gleichwie eine Amme ihre Kinder pfleget, 1 Thess. 2, 7. Er (Gott) der mich nicht bedarf, und mich so sorgfältig pflägt, als wäre ich sein Kind allein, Gell. Ich kann mich nicht pflegen, kann nicht alle unangenehme Empfindungen von meinen Körper abwenden. Seinen Leib pflegen, alles unangenehme von demselben entfernen. In dem zusammen gesetzten verpflegen hat es besonders den Begriff der Reichung des nöthigen Unterhaltes, welcher in dem einfachen Zeitworte in manchen Fällen nur dunkel hervor sticht.

7. Sich einer angenehmen Neigung mit Bequemlichkeit überlassen, auch im Hochdeutschen mit der zweyten Endung, aber mit regulärer Abwandelung, ich pflegte, habe gepflegt. Indessen ist es hier nur noch in einigen Redensarten üblich. Der Ruhe pflegen, sich derselben überlassen. Seiner Gelegenheit pflegen, seinem Hange zur Bequemlichkeit folgen.


Oft denkt, wenn wir der Stille pflegen,

Das Herz im Stillen tugendhaft,

Gell.


Die biblischen R.A. der Liebe, der Wollust pflegen, den Beyschlaf ausüben, 1 Mos. 18, 12, Sprichw. 7, 18 kommen auch im Hochdeutschen noch zuweilen vor, ob sie gleich im gemeinen Sprachgebrauche veraltet sind. In der R.A. seinen Lüsten pflegen, sich ihnen ohne Widerstand überlassen, wird es, wider den ganzen übrigen Gebrauch, mit der dritten Endung verbunden; statt, seiner Lüste pflegen.

8. Endlich wird es in einigen aus der Oberdeutschen Mundart beybehaltenen Redensarten auch für üben, ausüben, handhaben, gebraucht, wo man zugleich die Oberdeutsche irreguläre Abwandelung ich pflog, bey einigen auch wohl pflag, habe gepflogen, mit beybehalten hat, obgleich das Nennwort bald in der zweyten, bald in der vierten Endung gesetzt wird. Zunächst gehören dahin die im Hochdeutschen veralteten biblischen R.A. Priesteramts pflegen, Luc. 1, 8, dasselbe ausüben, in einzelnen Fällen verwalten. Sie pflegen Gottesdienst, der nicht zu sagen ist, Weish. 14, 23. Vornehmlich aber, die noch gangbaren: Rathes mit jemanden pflegen, mit ihm rathschlagen. Nach lange gepflogenem Rathe. Unterhandlung pflegen, unterhandeln. Es wurden Unterhandlungen gepflogen. Nach lange gepflogenen Unterhandlungen. Der Freundschaft mit jemanden pflegen, oder noch häufiger ohne Artikel, Freundschaft mit jemanden pflegen, Freundschaft mit ihm unterhalten. Unsere so lange gepflogene Freundschaft. Auf ähnliche Art wird das Lat. consuescere und consuetudo gebraucht. Umgang mit jemanden pflegen, mit ihm umgehen. Er pflog Umgang mit mir. Der Güte pflegen, in den Rechten, gütlich unterhandeln, den Weg der Güte versuchen. Die Gläubiger zu Pflegung der Güte einladen, welches auch beynahe der einzige Fall ist, in welchem das Hauptwort die Pflegung gebraucht wird, indem in andern Fällen Pflege üblicher ist. In noch weiterm Verstande bedeutete es ehedem auch gebrauchen.


Der hitzigen ertzney er pflag

Und nam dieselben alle Tag,

Theuerd. Kap. 70.


II. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort haben erfordert und den Infinitiv eines andern Zeitwortes mit dem Wörtchen zu nach sich hat; eine und eben dieselbe Handlung in allen oder den meisten vorkommenden Fällen und Gelegenheiten thun und gethan haben. Die Conjugation ist im Hochdeutschen regulär. Er pflegt nach Tische zu schlafen. Er pflegt zu sagen u.s.f. Das pflegt er sonst nicht zu thun. Alsdann pflegt es gemeiniglich zu regnen. So pflegt es zu geschehen. Wie es zu gehen pflegt. Thue, wie du pflegest, nähmlich zu thun. Wer leidet, muß verzeihen, wer unrecht thut, pflegt selten zu vergeben.

Da diejenigen Zeitwörter, welche den Infinitiv eines andern Zeitwortes nach sich haben, in den zusammen gesetzten Zeiten oft selbst in den Infinitiv treten; ich habe ihn kommen sehen, für gesehen, ich habe es sagen hören, für gehöret: so wird auch dieses Zeitwort von vielen auf eben dieselbe Art gebraucht. Er hat zu sagen pflegen, für gepflegt.

Auf grünen Grase hat man dir zu opfern pflegen, Opitz. Indessen findet man auch häufige Beyspiele des Gegentheiles. Habe ich auch je gepflegt dir also zu thun? 4 Mos. 22, 30.


Drum hat man vor der Zeit gepflegt, auf den Altaren

Der Griechen weit berühmt, mit Venus dich zu paaren,

Opitz.


Da beyde Formen das Ohr beleidigen, so gehet man am sichersten, wenn man sie ganz vermeidet, und dafür paegen im Imperfect gebraucht, welches in den meisten Fällen ohne einigen Nachtheil des Verstandes wird geschehen können.

Dieses Zeitwort gehet in allen Bedeutungen, sie mögen activ oder neutral seyn, im Oberdeutschen irregulär; ich pflege, du pflichst, er pflicht; Imperf. ich pflog, und in einigen Gegenden, ich pflag; Mittelw. gepflogen. Sogar das zusammen gesetzte verpflegen hat in der Schweiz verpflog, verpflogen. Es ist daher kein Wunder, daß auch das Neutrum im Oberdeutschen irregulär gehet.


Den der Himmel pflag zu lieben,

Opitz.


Den, der sie zu sehn stets pflag,

Flemm.


Und was das falsche Maul vorhin zu denken pflag, Rach. Gottsched gab sogar, um dieses Neutrum von dem vorigen Activo zu unterscheiden, die Regel, daß es beständig irregulär conjugirt werden müsse, dagegen jenes regulär gehe; wir pflagen die Zeit mit nützlichen Gesprächen zuzubringen. Allein, zu geschweigen, daß diese Conjugation wider die ganze Hochdeutsche Analogie ist, so hat Gottsched dabey nicht an die achte active Bedeutung gedacht, in welcher die irreguläre Form im Hochdeutschen überall beobachtet wird, obgleich die Bedeutung augenscheinlich thätig ist. Über dieß schrieb Gottsched selbst nur selten so, ohne Zweifel, weil er, seines sonst sehr harten Gehöres ungeachtet, hier den Übelklang fühlen mußte. Vor Alters pflegten auch -so gebraucht zu werden, heißt es in mehrern Stellen seiner größern Sprachkunst.

Anm. In den meisten der vorigen Bedeutungen bey dem Ottfried plegan, bey spätern Oberdeutschen Schriftstellern phlegan, pflegen, im Nieders. plegen, im Angels. pleggan, im Schwed. plaega, im Isländ. plaga, im Dän. pleye. Da der Blaselaut vor dem l und r in allen Fällen entweder ein müßiger Vorschlag oder eine Verstärkung, ein Nachdruck, eine Intension ist, welchen Blaselaut die Oberdeutsche Mundart in den stärksten Blaser pf verwandelt, so stammet unser pflegen ohne Zweifel von legen und liegen her, welches nicht nur die Oberdeutsche irreguläre Conjugation, sondern auch die verwandten Bedeutungen auflegen, für anbefehlen, einer Sache obliegen u.s.f. bestätigen. Die heutigen Bedeutungen dieses Wortes sind nur noch wenige Überbleibsel von den ehemahligen, daher die Leiter der Bedeutungen und ihrer Folge aus einander mangelhaft zu seyn scheinet. Zu den im Hochdeutschen veralteten Bedeutungen gehöret noch die Niedersächsische to pflegen, Handlanger seyn, zulangen, von welcher die achte unsers Activi eine bloße Figur ist. Ehedem bedeutete es im Nieders. auch verpflichtet, schuldig seyn, von welcher, und der ersten thätigen des Befehlens unser Pflicht ein Überbleibsel ist, S. dasselbe. Im Schwed. ist Lag und Plaeghed Gewohnheit, Gebrauch, und Lage bedeutete ehedem durch ganz Norden ein Gesetz. Ferner gehöret hierher das Nieders. flijen, ordentlich legen, in Ordnung legen, welches seine Abkunft von legen am wenigsten verläugnen kann.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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