Rinnen

Rinnen

Rinnen, verb. irreg. neutr. ich rinne, du rinnest, oder rinnst, er rinnet, oder rinnt; Imperf. ich rann; Mittelw. geronnen; Imperat. rinne. Es wird auf doppelte Art gebraucht.

1. Mit dem Hülfsworte seyn, wo es von einer gewissen Art einer schnellen Fortbewegung gebraucht wird. 1) Im weitesten Verstande, sich schnell fortbewegen; wo es doch nur in dem zusammen gesetzten entrinnen üblich ist, indem in andern Fällen dafür rennen gebraucht wird. 2) In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung wird es nur von flüssigen und flüssig gemachten Körpern gebraucht, wo es zwar mit fließen gleichbedeutend ist, sich aber doch noch merklich davon unterscheidet. Fließen ist ein allgemeiner Ausdruck, welcher theils die Menge des flüssigen Körpers, theils die Geschwindigkeit, mit welcher er sich fortbewegt, unentschieden läßt; allein rinnen setzt eine kleine Menge und eine schwache Bewegung voraus. Ein flüssiger Körper rinnt, wenn er sich in an einander hängenden, nicht von einander zu unterscheidenden Tropfen fortbeweget; ein Unterschied, welcher aus der Onomatopöie herrühret, welche beyden Wörtern das Dasyen gegeben hat. Indessen gebraucht man im Oberd. rinnen auch wie fließen von größern Flüssen und Strömen. Das Blut rinnet aus der Wunde. Die Thränen rannen ihm aus den Augen, von den Wangen. Kleine Bäche, kleine Quellen rinnen, größere fließen. Ein rinnendes Wasser, besser ein fließendes. Rinnen stehet zwischen dem Tröpfeln und Fließen in engerer Bedeutung in der Mitte. 3) Ein flüssiger Körper rinnt, wenn er zu einer festern Masse wird, in eine festere Masse zusammen fließet, ohne eben ganz zu erharten, ungeachtet dieses zuweilen eine Folge davon ist. Die Milch ist geronnen. Geronnenes Blut. Das Fett rinnet. Geschmolzen Bley rinnet, wenn es anfängt zu erkalten. Indessen ist dafür jetzt im Hochdeutschen gerinnen üblicher. Schon Notker gebraucht rinnen in diesem Verstande, und im Schwed. ist ränna gleichfalls gerinnen. Daher ist im Oberdeutschen Rennse, Rinnsel, das Lab, welches die Milch gerinnen macht.

2. Mit dem Hülfsworte haben, einen flüssigen Körper rinnen oder fließen lassen. Ein Gefäß rinnt, wenn es nicht dicht ist, und den darin befindlichen flüssigen Körper ausrinnen läßt, wofür man im gemeinen Leben auch lecken gebraucht. Der Narren Herz ist wie ein Topf, der da rinnt, Sir. 21, 48. Das Licht rinnt, wenn es den flüssig gewordenen Talg herunter fließen läßt. Die Augen rinnen, so wohl, wenn unwillkührliche Feuchtigkeiten heraus rinnen, welches auch triefen genannt wird, rinnende Augen haben, triefende; als auch, wenn sie Thränen rinnen lassen, in welcher letztern Bedeutung es zuweilen in der dichterischen Schreibart vorkommt, auch wohl mit dem Vorworte von; das Auge rinnt von Thränen, obgleich sich wider diese Verbindung vieles einwenden ließe. Der biblische Gebrauch, das Auge rinnt mit Thränen, ist im Hochdeutschen völlig ungewöhnlich; daß unsere Augen mit Thränen rinnen, und unsere Augenlieder mit Wasser fließen, Jer. 9, 18. Meine Augen rinnen mit Wasserbächen, Klagel. 3, 48. Daher das Rinnen.

Anm. In der ersten Bedeutung von flüssigen Körpern schon bey dem Ulphilas rinnan, bey dem Ottfried rinnan, im Schwed. und Isländ. rinna, im Nieders. rönnen, im Engl. to run. Es ist von rennen eigentlich nur in der Mundart unterschieden, außer etwa, daß das i eine kleinere Masse und kleinere Geschwindigkeit ausdrückt, als das e. Daher bedeutet das Schwed. rinna, so wie das Nieders. rönnen, so wohl rinnen als rennen. Ehedem wurde es auch für aufgehen, besonders von der Sonne und dem Lichte gebraucht, welche Bedeutung das Schwed. rinna noch erhalten hat. Es ist ein Intensivum von dem veralteten renen, reinen, dessen ehemahlige weite Bedeutung schon bey den Wörtern Rennen und Ring angemerket worden. Das Griech. ῥεειν fließen, erhält dieses Stammwort noch. Im Oberdeutschen ist Runs so wohl ein Bach, Fluß, als auch das Bett eines Flußes. S. auch Blutrünstig.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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