Stecken

Stecken

Stêcken, verb. regul. welches in doppelter Gestalt üblich ist. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, (im Oberdeutschen mit seyn) in eine längliche enge Offnung hinein gethan seyn, zunächst mit der Spitze, oder von spitzigen Dingen, hernach aber auch von allen länglichen und vielen andern Körpern.

1. Eigentlich von spitzigen Dingen als das Neutrum von stechen. Der Nagel steckt in der Wand, er steckt fest. Der Braten steckt am Spieße. Er schreyet, als wenn er am Spieße steckte. Deine Pfeile stecken in mir, Hiob 6, 4.

2. In weiterer Bedeutung, an einem Orte befindlich seyn gemeiniglich mit dem Nebenbegriffe der Festigkeit, Unbeweglichkeit, oder des Unvermögens, diesen Ort verlassen zu können. Im Schlamme stecken. Im Kothe stecken bleiben. Zwischen Thür und Angel stecken, sich zwischen zwey Gefahren oder Verlegenheiten befinden, von welchen man Eine wählen muß. Es steckt mir in allen Gliedern. Es steckt ihm auf der Brust. Dem Tode im Rachen stecken. In Noth, in Gefahr, in Schulden, im Elende stecken. Jemanden in der Noth, in dem Elende stecken lassen, ihm seine Hülfe versagen. Du steckest in deinem Unglück, 2 Sam. 16, 8. Thorheit steckt dem Knaben im Herzen, Sprichw. 22, 15. Ich weiß nicht, was ihm im Kopfe steckt. Stecke dich nicht in mancherley Händel, Sir. 11. 10; menge dich nicht darein. Alles war Ohr, den Schwätzerinnen blieb das Wort im offenen Munde stecken, Hermes. Immer in den Wirthshäusern stecken, sich daselbst aufhalten. Oft aber auch mit dem Nebenbegriffe der Verborgenheit. Da steckt etwas Böses dahinter. Ich weiß nicht, was dahinter steckt. Wo hast du den ganzen Tag gesteckt? Es weiß niemand, wo er steckt, sich befindet. Den ganzen Tag beysammen stecken, heimlich beysammen seyn.

3. Figürlich. (1) Stecken bleiben, nicht von der Stelle können. In einer Rede, in einer Predigt stecken bleiben, nicht weiter können. Mit einer Sache stecken bleiben, dieselbe nicht fortsetzen, nicht fortführen können. (2) Die Sache steckt, wird gehindert, in ihrem Fortgange aufgehalten, wofür man im Hochdeutschen lieber stocken sagt. Doch gebraucht man daselbst häufig den Infinitiv als ein Hauptwort, ins Stecken gerathen, in eben diesem Verstande. Die Sache ist ins Stecken gerathen.

Anm. Schon bey dem Notker stecchen, bey andern gleichzeitigen Oberdeutschen Schriftstellern stechen, stechen, und noch jetzt wird in manchen gemeinen Mundarten dieses Neutrum stecken mit stechen häufig verwechselt, besonders von den Niedersachsen, bey welchen ihr steken, so wohl stechen als stecken bedeutet. Vermuthlich rühret es gleichfalls von dieser Verwechselung her, daß dieses stecken in manchen Gegenden irregulär abgewandelt wird, besonders im Imperfecto, ich stak, für ich steckte.


Ein armer Schiffer stak in Schulden,

Gell.


Da es, wenn es wirklich ein irreguläres Zeitwort wäre, auch im Mittelworte gestecken haben müßte, dieses aber nicht üblich ist, so scheinet auch das irreguläre stak ein bloßer aus der Niedersächsischen Mundart herrührender Mißverstand zu seyn.

II. Als ein Activum, ein Ding in das andere thun, stecken machen.

1. Eigentlich, wo es zunächst von spitzigen oder langen Körpern gebraucht wird, wenn sie in eine enge Öffnung gethan werden. Den Braten an den Spieß, die Nadel in das Hemd, den Nagel in die Wand, den Degen in die Scheide, den Schlüssel in das Schlüsselloch, ein Licht auf den Leuchter stecken. Ingleichen auf solche Art befestigen. Einen Zettel an den Vorhang stecken. Oft stehet stecken absolute mit Verschweigung des Ortes. Weinpfähle stecken, in die Erde. Bohnen, Erbsen, Melonenkerne, Pflanzen u.s.f. stecken, sie in ein mit einem spitzigen Werkzeuge gestochenes Loch thun. Jemanden ein Ziel stecken, Ziel und Maß stecken. Auch durch mehreres Stecken hervor bringen oder zubereiten. Hauben stecken.

2. In weiterer Bedeutung, auch von andern Körpern, wenn sie in eine enge Öffnung gethan werden. Das Geld in den Beutel, in die Tasche stecken. Die Hand in den Busen, in die Tasche stecken. Den Bissen in den Mund stecken. Den Ring an den Finger stecken. Einem etwas in die Hand stecken, heimlich in die Hand geben, wo zugleich der Begriff der Verborgenheit hervor sticht. Jemanden unter die Bank, oder in den Sack stecken, ihm überlegen seyn. Sich hinter jemanden stecken, ihn zum geheimen Werkzeuge in Erreichung seiner Absichten gebrauchen. Die Köpfe zusammen stecken, heimlich mit einander reden. Ingleichen in noch weiterm Verstande, Sich in Schulden stecken, Schulden machen, von welchen man sich nicht leicht wieder befreyen kann. Sich in Gefahr, in fremde Händel stecken, im gemeinen Leben. Stecke dich nicht in mancherley Händel, Sir. 11, 10. 3. Figürlich. (1) In einen sichern Ort in Verwahrung bringen. Eine Jungfer in das Kloster, einen Verbrecher in das Gefängniß stecken. Von der Einsperrung in ein Gefängniß sind im gemeinen Leben auch einstecken und beystecken üblich. In einigen Oberdeutschen Gegenden ist stecken noch absolute, für in Verhaft nehmen, üblich; wo es aber auch eine fehlerhafte Schreib- und Sprechart für stöcken seyn kann, S. dasselbe. (2) Sich stecken, von dem Wasser, ist im gemeinen Leben so viel als sich stauchen, durch ein vorliegendes Hinderniß im Abflusse gehemmet werden. Bey den Jägern steckt sich das Wild, wenn es im Treiben zu enge zusammen kommt, so daß es nicht weiter kann, und gleichsam stockt. (3) In einem andern Verstande ist eben daselbst sich stecken, so viel als sich verbergen, wofür sonst verstecken üblich ist. Das Wild steckt sich, wenn es sich in die Dickungen verbirgt. (4) Geld in etwas stecken, es auf etwas wenden. Diesen Profit stecke ich in meinen Garten, Gell. Verwundern sie sich nicht, daß ich so viel Geld darein stecke? eben ders. (5) Jemanden etwas stecken, ihm insgeheim Nachricht davon geben. Er hat mir kein Wörtchen davon gesteckt. (6) In den Brand stecken, anzünden, von großen in Brand gesetzten Massen. Ein Haus, eine Stadt in Brand stecken. S. auch anstecken. So auch das Stecken.

Anm. Bey den alten Oberdeutschen Schriftstellern stecchen. Das Nieders steken, Angels. stican, Engl. stick und Schwed. sticka, bedeuten nicht allein stecken, sondern auch stechen. Beyde Wörter scheinen ursprünglich nur in der Mundart verschieden zu seyn, obgleich auch das letztere ein Intensivum des erstern seyn könnte; indessen sind ihre Gränzen im Hochdeutschen heut zu Tage genau abgezeichnet. Stechen bedeutet bloß eine Öffnung, die Verwundung machen, stecken das Befestigen oder Verbergen in dieselbe. Im Oberdeutschen ist erstecken auch für das Activum ersticken üblich:


Schlechte Kunst ist Krieg erwecken,

Schwere Last ist Krieg erstrecken,

Große Kunst ist Krieg erstecken,

Logau.


welches aber im Hochdeutschen unbekannt ist. S. Steckfluß.

Einige Sprachlehrer, z.B. Frisch und nach ihm Aichinger behaupten einen Unterschied in der Aussprache zwischen dem Neutro und Activo stecken, und wollen, daß das erste e in dem Neutro wie ein ä, in dem Activo aber wie ein scharfes e lauten soll. In der Aussprache der Hochdeutschen findet sich von dieser Aussprache keine Spur, welche allenfalls ein Provinzial-Gebrauch seyn könnte, wenn er nicht gar eine Grille ist.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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