- Still
Still, -er, -este, oder auch Stille, mit dem e euphonico, -er, -ste, adj. et adv. ein Wort, welches eine Abwesenheit sowohl der Bewegung, als des Lautes, des Geräusches bezeichnet. 1. Eigentlich. (1) In Absicht auf die Bewegung, keine Bewegung habend, wo es im schärfsten Verstande nur als ein Nebenwort üblich ist, und zwar nur mit solchen Zeitwörtern, welche ohnehin einen Stand der Ruhe bezeichnen. Stille stehen. Die Sonne stand stille, Jos. 10, 12. Stille sitzen, liegen, halten. Mit einem Wagen, mit dem Pferde stille halten. Einem stille halten, sich unter dessen Händen nicht bewegen. Im Felde stille liegen, von Armeen, im Gegensatze des Marschierens. Stille stehen, auch figürlich. Meine Betrachtung stand bey dem Wesen still, welches wir die Seele nennen, verweilete bey demselben, um ihr nachzudenken. Aber, hier stehet mein Verstand stille, ist so viel, das ist mir unbegreiflich, unergründlich. Ingleichen einer großen, heftigen Bewegung beraubt, wo es auch als ein Beywort gebraucht wird, aber doch nur in einigen Fällen üblich ist. Das stille Meer, die Südsee, weil auf derselben unter gewissen Breiten die Stürme nicht so häufig sind, als auf andern Meeren. Das Meer ward still (stille), Jon. 1, 12. Stille Wasser sind tief, gründen tief, oder haben tiefe Gründe, von der äußern Stille und Gelassenheit ist nicht allemahl auf eben dieselbe innere Beschaffenheit zu schließen. Wie rein nahm da mein Gemüth jeden frommen Eindruck auf, wie ein stiller See das Bild des reinen Mondes! Hermes. Die stille Luft, welche von keinem Winde bewegt wird; bey stillem Wetter. Es ist Windstille, es gehet kein Wind.
(2) In Absicht des Lautes, alles Lautes oder Tones beraubt. Stille schweigen, nicht reden, wo das Mittelwort stillschweigend auch als Ein Wort geschrieben wird, S. auch das Stillschweigen. Stille seyn, keinen Laut von sich hören lassen. Warum bist du nun so stille? Alles um mich her ist stille. Wir wollen nicht reden, ich will so stille seyn als das Grab. Von etwas stille schweigen, nichts davon sagen.
Allein ich schwieg doch bald von ihren Fehlern still,
Gell.
Zu etwas stille schweigen, nichts dazu sagen, ingleichen es nicht tadeln, nicht ahnden. Stille! eine gewöhnliche Interjection, Stille oder Stillschweigen zu gebiethen. Stille! er möchte es sonst hören. Ingleichen als ein Beywort, alles Lautes, Geräusches von außen beraubt. Ein stilles Gebeth, welches nicht durch hörbare Worte geschiehet. Gewiß ging dein zitternder Fuß aus der Hütte hervor, im stillen Gebethe den Abend zu feyern, Geßn. So auch eine stille Liebe, eine stille Freude, ein stiller Gram u.s.f. Leidenschaften, welche sich nicht durch Worte und Geräusch äußern. Und der Sohn sahe lange mit stiller Freude auf den Vater herunter, Geßn. Wir fühlen uns beruhigt, und mit einem stillen Beyfalle des Herzens belohnt, wenn wir andrer Glück befördert haben, Gell. Such deine Lust in stillern Freuden, eben ders. Ein stiller Gram war auf ihrem Gesichte verbreitet, Sonnenf. Ein stiller Abend, eine stille Nacht, ein stiller Wald u.s.f. wo kein Laut, kein Geräusch, gehöret wird. Ihr stillen Wälder! Bey stiller Nacht. Oft besucht die Muse bemooste Hütten, um die der Landmann stille Schatten pflanzet, Geßn. Bey stillem Abend hatte Myrtill noch den mondbeglänzten Sumpf besucht, eben ders.
Und warum floh der Held jetzt stillen Schatten zu
Und wählte für den Streit des Öhlbaums träge Ruh?
Weiße.
Ferner, ohne starken Laut, ohne vieles Geräusch. Stille gehen, sprechen, reden, singen, besser leise. Ein stilles Sausen, 1 Kön. 19, 12, ein sanftes. Die stille Messe, in der Römischen Kirche, oder die Stillmesse, welche ohne Musik gelesen wird. Der stille Freytag, der Charfreytag, die stille Woche, die Charwoche, weil man sich zu dieser Zeit aller rauschenden Lustbarkeiten enthält, diese Zeit in abgeschiedener Stille feyert. Zuweilen wird auch das Neutrum, doch nur mit dem Vorworte in, als ein Hauptwort gebraucht; im Stillen, für in der Stille, ohne äußeres Geräusch. Er härmte sich darüber im Stillen.
2. Figürlich, sowohl in Rücksicht der Bewegung als des Lautes. (1) Ein stiller Mensch, ein eingezogener, sittsamer, gelassener Mensch, der wenig Geräusch macht, auch von heftigen Leidenschaften frey zu seyn scheinet. Ein stilles Gemüth. Ein stiller Ort, wo wenig Geräusch ist. Es ist hier sehr stille, man höret hier wenig Geräusch. Ein stilles Leben führen, ein eingezogenes, in der Stille leben. Ein Schäfer in seinem stillen Hirtenstande, Gell. (2) Ruhig. Stille leben. Das stille Alter. Den stillen Sabbath der Ewigkeit feyern. Ein stilles Volk, Richt. 18, 27. Die Stillen im Lande, Ps. 35, 20. (3) Es ist ganz stille davon, man höret nichts davon, es wird nichts davon gesprochen. Vorher sprach man viel davon, aber jetzt wird es wieder stille.
Anm. Schon bey dem Kero und Ottfried still, im Nieders. Angels. und Engl. gleichfalls still, im Schwed. stilla, im Nieders. als ein Nebenwort auch stillken, im Angels. stillice. Es ahmet durch seinen Laut eigentlich eine leise sanfte Bewegung nach, und ist der Form nach ein Intensivum, von einem veralteten Stammworte, zu welchem auch unser stehlen zu gehören scheinet. In einem hohen Grade stille druckt man im gemeinen Leben durch mausestill und stockstill aus. Die härtern Mundarten schreiben und sprechen dieses Wort gemeiniglich still; allein die sanftere Hochdeutsche kann hier das e euphonicum nicht füglich entbehren. Für stille ist im Oberdeutschen auch hosch, und im Österreichischen tasig üblich, welches letztere augenscheinlich mit dem Latein. tacere verwandt ist.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.