Bey

Bey

Bey, eine Präposition, welche mit der dritten Endung oder dem Dative verbunden wird, zur Bestimmung so wohl eines Ortes, als auch einer Zeit dienet, und besonders in dem ersten Falle, einen Zustand, oder eine Handlung so wohl in der Nähe, als auch im Innern einer Sache ausdruckt. Sie bezeichnet also,

I. Einen Ort, und zwar,

1. Einen Zustand, oder eine Handlung nahe an der Seitenfläche einer andern Sache. Diese Bedeutung, in welcher bey in vielen Fällen durch an ersetzet werden kann, ist die fruchtbarste, indem sie nicht nur in dem eigentlichsten und weitern Verstande vorkommt, sondern auch verschiedene figürliche Arten des Gebrauches veranlasset.

a) Eigentlich. Bey der Kirche wohnen. Ich faß nahe bey ihm. Bey jemanden liegen, stehen, schlafen. Bey der Thür, nahe bey der Thür stehen. Bey Tische sitzen, um zu speisen. Sie sind noch bey Tische. Damit sie nicht bey Tische auf dich warten dürfen. Die Sache ist bey der Hand, in der Nähe. Ich habe es bey der Hand, in der Nähe; in welchem Verstande schon Tatian bi hantun sagt. Ich suchte ihn bey dir. Er nimmt es bey der Erde weg, nahe an der Erde. Bey der Klinge bleiben, figürlich, von der Hauptsache nicht ausschweifen. Ich habe kein Geld bey mir. Behalte das bey dir. in deiner Verwahrung, ingleichen, plaudere es nicht aus.

Der Gebrauch des Wortes bey hat hier seine bestimmten Grenzen, und darf nicht auf solche Fälle ausgedehnet werden, die das Herkommen nicht gebilliget hat; weil das Vorwort an sich der meisten Redensarten bemächtiget hat, wo dem Verstande nach gar wohl bey stehen könnte. Bey dem Rheine wohnen, bey der Wand stehen u.s.f. sagt man im Hochdeutschen nicht, wohl aber an dem Rheine wohnen, an der Wand stehen. In der Niedersächsischen Mundart erstreckt sich der Gebrauch dieser Präposition viel weiter, und wird daselbst in den meisten Fällen gebraucht, wo im Hochdeutschen das an in der eigentlichen Bedeutung stehet. So sang z.B. Hr. Utz:


Da sah ich durch die Sträuche

Mein Mädchen bey dem Teiche;


wo an dem Teiche, nach des Hrn. Rammlers Verbesserung, dem Hochdeutschen Sprachgebrauche freylich angemessener ist.

Am häufigsten wird dieses Vorwort im Hochdeutschen gebraucht, wenn die Nachbarschaft einer Stadt, eines Schlosses, eines Dorfes und zuweilen auch einer Insel ausgedrucket werden soll. Die Schlacht bey Lützen. Der weiße Berg bey Prag. Die Sandfelder bey Berlin. Die Barde, welche sich bey Leipzig in die Pleiße ergießet. Die Elbe ist bey Hamburg breiter als bey Magdeburg. Das Schiff ist bey Dresden untergegangen. Er begegnete uns bey Roßbach. Der Schiffer lief bey der Insel Wight auf den Strand. Die Ostsee hat bey der Insel Rügen viele Untiefen. Die Nachbarschaft der Berge, Flüsse, Wälder, u.s.f. hat sich in den meisten Fällen das Vorwort an vorbehalten.

(b) In weiterer und figürlicher Bedeutung bezeichnet es,

1) Den persönlichen Gegenstand, auf welchen eine Handlung gerichtet ist, oder auf welchen sie sich beziehet, mit thätigen Verbis. Bey dem Richter klagen. Etwas bey Rathe, bey Hofe, bey der Obrigkeit, bey seinem Vorgesetzten anbringen. Man hat mich bey ihm angemeldet. Gnade bey Gott finden. Er gilt alles bey mir. Das ist das einzige Mittel, dich bey mir beliebt zu machen. Sich bey jemanden bedanken. Wir richten damit nichts bey ihm aus. Bey einem um Vergebung bitten. Um mir Verdruß bey dir zu machen.

Auch wenn dieser Gegenstand zugleich der Sitz des Prädicates ist. Bey sich überlegen, denken. Ich habe es bey mir beschlossen. Es stehet bey ihnen, ob sie meinem Rathe folgen wollen. Mein Glück stehet bey dir. Bey sich selbst seyn, sich seiner bewußt seyn. Das ist bey ihm (nach seinem Urtheile) einerley. Bey ihr sind alle Dinge schädlich, die man nicht umsonst bekommt, Gell. Bey mir ist ja ja, und nein nein. Ihr Glück geht bey mir über alles. Bey Gott ist kein Ansehen der Person. Bey ihm haben diese Hirngespinste alle Reitze der Wahrheit. Jener bey dem Terentius. Der Esel bey dem Phädrus, der in Phädri Fabeln aufgeführet, vorgestellet, beschrieben wird. Bey dem Cicero lautet die Sache ganz anders, in dessen Schriften. Zuweilen kann das Vorwort, besonders in der höhern Schreibart, hier auch weggelassen werden. Mir geht dein Glück über alles.


Euch heißt der Wein der Unart Zunder,

Haged.


2) Eine moralische Verbindung. Bey einem wohnen, in seinem Hause. Bey jemanden essen, an seinem Tische. Bey einem in Diensten seyn. Bey Hofe leben, in Diensten des Hofes. Bey einem Meister in der Lehre stehen. Er hat seine Schwester bey sich, in seinem Hause, in seiner Gesellschaft. Ich hatte niemanden bey mir, um mir, in meiner Gesellschaft. Warum wollen sie nicht bey uns bleiben? Er ist ein Mann bey der Stadt, im gemeinen Leben, er ist ein wichtiger, glaubhafter Mann; eigentlich wohl ein Mann in Diensten der Stadt. Bey einem einkehren. Man hat es bey ihm gefunden, an seinem Leibe, oder auch in seinem Hause. Bey einander wohnen, bleiben, schlafen u.s.f.

3) Einen Gegenstand der Sache, einen Gegenstand der Beschäftigung. Bey harter Arbeit aufwachsen. Bey Wasser und Brot gefangen sitzen. Er ist bey dem Weine erstochen worden. Bey dem Tanze seyn. Bey dem Biere ist er sehr beredt. Bey einer Hochzeit, bey einem Begräbnisse seyn. Sagen sie mir, was bey der Sache anzufangen ist. Es ist mir nicht wohl bey der Sache. Es ist bey der Sache niemand unglücklicher als ich. Er wird bey der Waare gut fahren. Er kann nicht lange bey einer Arbeit bleiben. Es könnte bey dieser Sache noch vieles angemerket werden.

4) Das Mittel, das Werkzeug einer Handlung. Jemanden bey der Hand nehmen, oder führen. Halten sie mich nicht bey der Hand. Einen bey den Haaren herum ziehen. Etwas bey den Haaren herbey ziehen, in einer niedrigen Figur, es ohne begreifliche Verbindung anführen.


Zum Unglück hielt er mich im Falle noch beym Bein,

Wiel.


Einen bey dem Kopfe nehmen, im gemeinen Leben, ihn in Verhaft nehmen. Einen bey seinem Nahmen nennen.


Wie lange wirst du ihn bey diesem Nahmen nennen?

Weiße.


Bey der Lampe arbeiten. Bey Lichte lesen, schreiben. Etwas bey dem Lichte besehen, figürlich, es genau erwägen. Bey dem Scheine der Fackeln. Bey dem blassen Schimmer des Mondes.

5) Eine Coexistenz, oder das mit und neben einer Sache vorhandene Daseyn einer andern. Wie einfältig sind sie bey ihrer Behutsamkeit! Wenn man anders bey einer so heftigen Gemüthsbewegung schlummern kann. Er, der ein böses Herz bey der einnehmendsten Miene der Aufrichtigkeit hat. Wenn wir bey einer zärtlichen Liebe Verstand und Tugend haben, so haben wir alles, was ein vernünftiger Ehemann fordern kann, Gell. Der Geitzhals ist bey großem Gute arm. Bey allem meinem Glücke mache ich vielleicht meine Freundinn unglücklich, Gell.

Auch wenn die eine Sache der Grund oder die Veranlassung der andern ist. Er ward bey diesem Auftritte sehr gerührt. Bey dieser Neigung wirst du unglücklich werden. Das Feuer griff bey dem heftigen Winde schnell um sich.


Kaum aber sah ich sie, so wich bey ihrem Blicke

Mein erst so dreistes Herz schon ganz beschämt zurücke,

Gell.


Ja fühle, wie mir bey seinem Nahmen das Herz schlägt,

Weiße.


Trauergedanken bey dem Absterben eines Freundes.

Ingleichen, wenn sie dem Vermuthen nach eine entgegen gesetzte Wirkung hervor bringen sollte, da es für ungeachtet stehet. Er hat bey seiner großen Gelehrsamkeit sehr wenig hinterlassen. Wohin auch das so gewöhnliche bey alle dem, oder bey dem allen gehöret, d.i. ungeachtet alles dessen, S. All, Anm. 1. 6) Zuweilen verschwindet der Begriff der Coexistenz und lässet nur die Vorstellung des Besitzes zurück. Wenigstens lassen sich folgende R.A. in welchen bey das Hauptwort in den meisten Fällen um seinen Artikel bringet, am füglichsten auf diese Art erklären. Einen bey Leben (im Besitze des Lebens,) erhalten. Ist er noch bey Leben? Einen bey Ehren, bey Ansehen erhalten. Suche ihn bey diesen guten Gedanken zu erhalten. Einen bey guter Gesundheit antreffen. Bey Verstande, bey Vernunft, bey Sinnen seyn. Er ist schon bey Jahren, ziemlich alt. Bey Gelde seyn, mit barem Gelde versehen seyn. Bey Mitteln, bey Vermögen seyn, Mittel, Vermögen besitzen. Bey Kräften seyn. Gut bey Leibe seyn. Welche Redensarten doch größten Theils nur im gemeinen Leben üblich sind.

7) Das Ziel, so wohl, wo eine Handlung ihren Anfang nimmt, als auch, wo sie aufhöret. Bey dir will ich anfangen, bey dir will ich den Anfang machen. Bey diesen Worten fing sie bitterlich an zu weinen. Er bleibt dabey, er behauptet es beständig. Es bleibt dabey, es bleibt, wie es verabredet, versprochen worden. Es bleibt bey meinem Versprechen. Bey einer Sache stehen bleiben. Er bleibt immer bey dem äußern Scheine stehen. Wir wollen es dabey bewenden lassen. Er hat mich bey Häller und Pfennig bezahlt, im gemeinen Leben, bis auf den letzten Häller oder Pfennig. Bey einem Haar, bis auf ein Haar, es fehlte kaum noch ein Haar.

8) Eine Ordnung. Sie gingen Mann bey Mann, ein Mann an dem andern, in welchem Verstande schon Ottfried bi manne für viritim gebraucht. Sie kamen bey Paaren, paarweise, ein Paar hinter dem andern. Eine Waare bey Fässern, bey Ballen kaufen, faßweise, ballenweise. Der kalte Morgen schickt seine Kinder bey Tausenden zur Schlachtbank, Dusch.


Wo Cornetten und Hemder und Schürzen bey Dutzenden liegen,

Zachar.


Im Beyseyn der Alten verstellt sich die Jugend,

Sie trinkt nur bey Tropfen,

Haged.


9) Einen Bewegungsgrund. Bey Gott schwören. Ich beschwöre sie bey ihrer Aufrichtigkeit. Bey der Liebe sey es geschworen. Nein bey der Thräne, die ich an deiner Leiche geweint habe, Dusch. Bey meiner Treu! Bey meiner Seele! und hundert andere in der niedrigen Sprechart übliche Arten des Schwörens. Etwas bey Strafe verbiethen. Thue das bey Leibe nicht. Es scheint, daß dieser Gebrauch eine buchstäbliche Übersetzung des Latein. per ist; denn daß bey ehedem auch für durch gebraucht worden, wird aus der dritten Anm. erhellen.

2. Einen Zustand oder eine Handlung in dem Innern einer andern; und zwar wiederum,

(a) Eigentlich, von welcher Bedeutung aber nur noch sehr wenig Redensarten üblich sind, obgleich auch viele von der vorigen ersten figürlichen Bedeutung hierher gerechnet werden könnten. Bey Hofe seyn, in der Residenz. Vor Zorn, vor Schrecken nicht bey sich selbst seyn, welches mit einem andern Ausdrucke auch außer sich selbst seyn heißt. Bey so verwirrten Umständen, in. Da man indessen nicht sagen kann, sich bey verwirrten Umständen befinden, so scheinet es, daß bey hier mehr eine Coexistenz, als den Ort bezeichne. Ich weiß, daß bey dir ein Verlangen nach mir entstanden ist, für, in dir.

(b) In weiterer Bedeutung, für unter, oder ein Prädicat anzudeuten, das mehrern gemein ist. Wie steht es bey euch? in eurem Lande, in eurem Orte, in eurem Hause. Bey uns ist der Wein theuer. Indessen sagt man nicht gern, bey den Schweden, bey den Russen ist der Wein theuer, sondern in Schweden, in Rußland. Bey uns nennt man dieses Ding anders. Es war eine Gewohnheit bey den Alten. Sein Nahme allein muß bey allen gesitteten Völkern seinen besten Lobspruch ausmachen.

Ferner dienet dieses Vorwort auch,

II. Eine Zeit zu bezeichnen, und zwar,

1. Eine Zeit, wenn eine Handlung geschiehet, oder geschehen ist, und so fern solche nur überhaupt ausgedruckt werden soll, ohne sie eben auf das genaueste zu bestimmen. Bey Tage, während des Tages, am Tage. Bey Tage reisen. Bey der Nacht arbeiten. Bey anbrechendem Tage aufstehen. Bey Nacht und Nebel ausziehen. Bey schönem Wetter spazieren gehen. Ich bin bey der Nacht sehr furchtsam. Bey Menschen Gedenken (so lange Menschen denken können,) ist keine solche Dürre gewesen. Bey frühem Morgen kam der arme Amyntas aus dem dichten Haine, Geßn. Bey ihren jungen Jahren (besser in) haben sie so etwas Gesetztes. Ich möchte dich bey meinem Leben noch gerne versorgt sehen. Ich kann ihm zwar bey meinem Leben nicht mit vielem Gelde dienen, Gell. Bey Gelegenheit, wenn sich eine Gelegenheit dazu anbiethet. Bey Zeiten, welches einige ohne Noth als Ein Wort beyzeiten geschrieben wissen wollen, bey früher Zeit, frühe. Kommen sie fein bey Zeiten. Wir wollen bey Zeiten sehen, wie wir aus einander kommen. Im Theuerdanke heißt es Kap. 66, ein Mahl bey der Zeit für bey Zeiten. Ottfried gebraucht dafür gizito.

Auch diese Bedeutung hat im Hochdeutschen ihre Grenzen, die man nicht nach Gutdünken erweitern darf. Es sind sogar viele Fälle, in welchen dieses Vorwort ehedem von der Zeit üblich war, im Hochdeutschen veraltet.


Ich bin bey all meinen tagen

Nye zorniger auf dich gewesen,

Theuerd. Kap. 91;


wofür man jetzt in gebraucht. Bey den Zeiten Saul, 1 Chron. 14, 3, heißt es zu, oder in den Zeiten Sauls.

2. Eine Dauer, aber auch hier, wenn solche nur ungefähr angegeben werden soll. Mein liebes Kind, daß ich bey dreyen Jahren gesäuget, 2 Maccab. 7, 27. Da ward eine Stille im Himmel bey einer halben Stunde, Offenb. Joh. 8, 1. Bey acht Tagen nach diesen Reden, Luc. 9, 28. Bey vierzig Jahren lang, Apostelg. 18, 13. Bey einer Stunde lang, Dan. 4, 16. Doch dieser Gebrauch kommt im Hochdeutschen wenig mehr vor, indem man statt desselben lieber andere gleich bedeutende Ausdrücke wählet, z.B. fast, an die, ungefähr, etwa u.s.f. oder wenn man das Vorwort bey ja behält, es in der folgenden Gestalt eines Nebenwortes gebraucht. Luther selbst sagte Ruth 1, 4: Sie hatten daselbst bey zehn Jahr gewohnt. Denn,

III. Bey pflegt sich endlich auch zuweilen den Zahlen zuzugesellen, und druckt alsdann gleichfalls den Begriff des Ungefähren aus. Allein alsdann verliert es auch die Gestalt einer Präposition und nimmt die Form eines Adverbii an. Die Wellen hatten die Erde bey drey Schuh tief ausgehöhlt, ungefähr drey Schuh tief, oder fast drey Schuh tief. Der König wird sich bey sechs Wochen daselbst aufhalten. Es waren bey neun tausend, 2 Maccab. 10, 18. Es waren bey fünf tausend Mann, Luc. 9, 14. Die Lohe schlug bey neun und vierzig Ellen hoch aus dem Ofen, Geb. Asar v. 47. Man siehet leicht, daß bey hier ein wirkliches Adverbium ist, daher man nicht nöthig hat, demselben als einer Präposition mit einigen Sprachlehrern auch den Accusativ zuzuschreiben; denn die Endung des Hauptwortes hängt in allen diesen Fällen nicht von der Partikel bey, sondern von dem Zeitworte ab. Luther, oder dessen spätere Herausgeber, haben sich eben so sehr geirret, wenn sie dem Worte bey in dieser Bedeutung die dritte Endung zugesellen. Es war bey einem Epha Gerste, Ruth 2, 7. Bey hundert Pfunden, Joh. 19, 39. Er riß sich von ihnen bey einem Steinwurfe, Luc. 22, 41.

Eine andere Frage ist es, ob der Artikel in dieser Bedeutung bey dem Hauptworte Statt finden könne. Man höret im gemeinen Leben nicht selten, es waren bey die sechs Meilen, bey die hundert Zentner, bey die tausend Thaler. Da der Artikel alle Mahl eine genaue Bestimmung gewähret, hier aber die Zahl nur ungefähr angegeben werden soll, so scheinet der erstere hier freylich nicht nur überflüssig, sondern auch widersinnig zu seyn. Indessen ist doch diese Art sich auszudrucken ziemlich allgemein, und auch mit dem Vorworte an üblich, an die sechs Meilen u.s.f. Freylich zwar nur unter dem großen Haufen; allein diesem gehöret auch dieser ganze Gebrauch der Partikel vornehmlich zu; denn in der anständigen und reinen Schreib- und Sprechart wird man bey wohl nicht gerne mehr für fast und ungefähr gebrauchen.

Zu dieser adverbischen Gestalt dieser Partikel gehöret auch die Redensart bey nahe und dessen Gegentheil bey weiten. Ich wäre bey nahe gefallen, fast, es fehlete nicht viel. Bey nahe wäre ich nicht gekommen. Bey weiten, es fehlet viel. Das ist bey weiten nicht alles. Die größten Reichthümer sind bey weiten nicht so wichtig, als der Nahme eines ehrlichen Mannes. S. Nahe und Weit. Für bey nahe war ehedem auch vilbi oder viel bey üblich, wie aus dem Straßburgischen Stadtrechte bey dem Schilter erhellet. S. auch Anm. 2.

Anm. 1. Aus dem, was bisher angeführet worden, erhellet zugleich, daß bey im Hochdeutschen nur einen Stand der Ruhe bezeichnen, oder einer Handlung im Stande der Ruhe betrachtet zugesellet werden kann. Die Niedersächsische Mundart gebraucht dieses Wort auch, eine Richtung oder eine Bewegung nach einem Gegenstande zu auszudrucken, und verbindet es alsdann mit der vierten Endung; z.B. einen Topf bey das Feuer setzen; sich bey die Stadt lagern. Dieser Niedersächsische Gebrauch hat sich auch in die Deutsche Bibel eingeschlichen. Z.B. Ehe denn er nahe bey sie kam, für zu ihnen, 1 Mos. 37, 18. Begrabet mich bey meine Väter, für bey meinen, Kap. 49, 29. Die Kinder Israel sollen sich lagern ein jeglicher in sein Lager, und bey das Panier seiner Schaar, für bey dem, 4 Mos. 1, 52. Tritt bey dein Brandopfer, für zu deinem, Kap. 23, 3. Joas ward begraben bey die Könige Israel, für bey den, 2 Kön. 13, 13; Kap. 14, 20. Und trat bey das Rad, für an das Rad, Ezech. 10, 6. Und er kam hart bey mich, für nahe zu mir, Dan. 8, 17. So auch Sir. 11, 1; Matth. 26, 58; Marc. 2, 4; Luc. 10, 32 u.s.f. Diese Wortfügung nachzuahmen, würde im Hochdeutschen alle Mahl ein Fehler seyn; noch mehr aber, wenn man uns deßwillen bey unter diejenigen Vorwörter rechnen wollte, welche so wohl die dritte, als vierte Endung zu sich nehmen, wie von einigen Sprachlehrern wirklich geschehen ist. Wie aber keine Regel ohne Ausnahme ist, so sind auch im Hochdeutschen wenigstens einige Fälle vorhanden, wo das Vorwort bey eine Bewegung nach einem Orte bezeichnen hilft. Dahin gehören vornehmlich die R.A. bey Seite gehen, jemanden bey Seite nehmen, rufen, ziehen, etwas bey Seite legen; wofür man doch billig lieber sagen sollte auf die Seite. S. auch Beysammen und Beyseits.

Anm. 2. Bey lautet schon bey dem Ulphilas bi, im Angels. bi, im Dän. und Nieders. bi, im Engl. und Holländ. by. Im alten Preußischen hatte po eben diese Bedeutung, daher auch die Nahmen Porussen oder Preußen, und Pommern, Länder bedeuten sollen, die an Reußen, und an dem Meere liegen. Das Griechische επιist mit dieser nördlichen Partikel sehr nahe verwandt. Ob aber dieses bey zu dem alten bio, bo, bauen, so fern es wohnen bedeutet, oder zu dem alten bi, bin, seyn, wovon das Engl. to be und das Deutsche ich bin, abstammen, gehöret, lässet sich bey dem hohen Alterthume aller dieser Wörter nur muthmaßen. Ehedem hatte man von dieser Partikel im Deutschen auch das Verbum sich bien, für sich nahen. S. auch Be-, welches wenigstens in einigen Fällen aus diesem Vorworte entstanden ist.

Anm. 3. Diese Präposition ist eine von denjenigen Partikeln, die in ihren meisten Bedeutungen von dem Gebrauche nur auf gewisse Fälle eingeschränket worden sind, die man nicht nach Gutdünken vervielfältigen darf. Manche Arten des Gebrauches, welche in den gemeinen Mundarten erlaubt sind, würden in der anständigen Schreibart niedrig klingen. Z.B. ich entdecke viele Schwachheiten bey ihm, für an ihm; ich habe es bey dem Spaziergange erfahren, für auf; er erblickt bey der Heirath nichts als Fallstricke, besser in dem Ehestande, u.s.f. Ehedem war dessen Gebrauch nicht so eingeschränkt. Denn es bedeutete, 1) Durch. Bi thinen mahtin, durch deine Macht, Ottfried. 2) Nach, von der Zeit. Bi iaron quimit er iu heim, nach einigen Jahren kommt er zu euch, Ottfried. 3) Für, Opphoron er scolta bi die sino sunto, er sollte für seine Sünden opfern, ebend. Bi richi sin irsterban, für sein Reich sterben, ebend. 4) Von. Zalta in -bi eine brutloufti, erzählte ihnen von einer Hochzeit, ebend. 5) Aus. Bi bilauue gidan, aus Bosheit geschehen, ebend. Bi nide, aus Neid, ebend. 6) Wegen. Bi iro missodati, wegen ihrer Sünde, ebend. Bi thia meina, wegen des Verderbens, ebend. 7) Fast, als ein Nebenwort. Und do Hannibal hette bi die stat gewunnen, in Königshov. Chron. wovon unser heutiger Gebrauch mit den Zahlen noch ein Überbleibsel ist. 8) Eine Zeitdauer. Bi iaron io ginuagi, viele Jahre lang, Ottfried. 9) Unter. Bi Pontisgen Pilate, unter Pontio Pilato, in der Catech. Theod. bey dem Eckard. 10) Das Mittel einer Erkenntniß. Bey der That mogt ir verstan, Theuerd. Kap. 85. Anderer zu geschweigen.

Anm. 4. Bey wird zuweilen auch mit einigen Partikeln zusammen gesetzet, dergleichen beyan, beyher, beyhin sind; allein diese sind Niedersächsisch; anbey ist Oberdeutsch. Dabey, wobey, vorbey, herbey, hingegen sind auch im Hochdeutschen üblich. S. diese Wörter. Zahlreicher sind die Zusammensetzungen mit Nenn- und Zeitwörtern. Bey bedeutet daselbst, 1) Eine Verbindung einer Sache mit der Seitenfläche der andern, wie in beybiegen, beybinden, beydrucken, beydrücken, Beylage, beylegen, beyschließen u.s.f. welche eigentliche Bedeutung zugleich eine Quelle verschiedener figürlicher ist; wohin die Wörter beymischen, Beyspiel, Beyfall, beymessen, beypflichten, Beystand, beystehen, beystimmen, u.a.m. gehören. 2) Eine Annäherung; daher, beykommen, beygehen, beybringen u.s.f. 3) Eine Sache, die neben einer andern gleicher Art da ist, wohin die Hauptwörter Beybothe, Beyessen, Beyfrau, Beyfreude, Beyhülfe, Beylade, Beyläufer, Beynahme, Beywagen u.s.f. gehören. In einigen Fällen schleicht sich auch der Begriff des Geringern oder Unächten mit ein; wie in Beyschmack, dem veralteten Beyglaube für Aberglaube, Beyschlag, eine falsche nachgeschlagene Münze u.s.f. Viele Hauptwörter dieser Art sind nur im gemeinen Leben üblich; in der anständigern Schreibart setzet man sie lieber mit Neben- zusammen.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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