Für

Für

Für, ein Bestimmungswörtchen, welches in doppelter Gestalt vorkommt.

I. * Als ein Umstandswort des Ortes und der Zeit, für fort, weg, in welcher Gestalt es ehedem im Oberdeutschen sehr üblich war, und es zum Theil noch ist. Der regen is furi, ist fort, vorüber, Willer. Furifaren, fortgehen, vorüber gehen, vergehen. Daher sagt man noch jetzt im Oberdeutschen fürdauern, fürwähren u.s.f. für fortdauern, fortwähren. S. Fort, ingleichen Ver, welches gleichfalls aus diesem Nebenworte entstanden ist. Hierher gehöret auch das im Hochdeutschen gleichfalls veraltete für und für, unaufhörlich, immerfort, zu allen Zeiten.


Tewrdank der schweig für und für still,

Theuerd. Kap. 81.


Seine Jahre währen für und für, Ps. 61, 7. Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für, Ps. 90, 1. Für und für bleiben, Es. 13, 20; und in vielen andern Stellen mehr.


So wird mein Lob bleiben

Und grünen für und für,

Opitz.


Mein Saitenspiel soll lauten für und für,

O Herr, von dir,

Opitz.


II. Als eine Präposition, welche alle Mahl die vierte Endung des Hauptwortes erfordert, und nach dem nunmehr im Hochdeutschen fast durchgängig beliebten Gebrauche in folgenden figürlichen Bedeutungen des Vorwortes vor gebraucht wird. Es bezeichnet

1. Dasjenige Verhältniß zweyer Dinge, da das eine anstatt des andern ist, und zwar wiederum in folgenden Fällen.

1) Der Art nach, da ein Ding anstatt des andern ist, oder dessen Stelle vertritt, so wohl von Personen als Sachen. Für jemanden bezahlen, gut sagen, Bürge werden. Einen andern für sich predigen lassen. Für jemanden Rechenschaft geben. Wir versprechen für uns und unsere Nachkommen u.s.f. Aaron redete für Mosen vor dem Könige Pharao, 2 Mos. 4, 16. So einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben, 2 Cor. 5, 14. Christus hat sich selbst für mich dargegeben, Gal. 2, 20. Einen Ducaten für einen Louisd'or nehmen. Ein Wort für das andere setzen. Ein x für ein u machen. Diese selig gepriesene Liebe hat Schmerzen für Freuden, Verachtung für Ehre, Gram für Entzückung geboren, Mosh. So wachsen mir Disteln für Weizen, und Dornen für Gersten, Hiob 31, 40. Und wird Stank für gut Geruch seyn, und ein los Band für einen Gürtel, Es. 3, 24. Ein- für alle Mahl, d.i. Ein Mahl so gut als alle Mahl, Ein Mahl anstatt aller Mahle. Er sollte studieren, aber er spielete dafür. Hierher gehöret vermuthlich auch noch folgende figürliche Art des Ausdruckes. Ich habe es für mich gethan, aus eigenem Antriebe, aus eigener Gewalt, eigenmächtig. Er thut alles für sich, für seinen Kopf. Für sich bestehen, ohne weitern innern Zusatz da seyn.

2) Dem Werthe nach, im Handel und Wandel, da es dem Werthe oder dem Preise vorgesetzet wird. Ein Gut für tausend Thaler kaufen. Ich speise wöchentlich für drey Thaler. Für Geld schreiben. Zween (zwey) Sperlinge für Einen Pfennig kaufen, Luth. ob er gleich in der Deutschen Bibel statt für in dieser Bedeutung beständig um gebraucht.

3) Dem Gegenstande nach, dasjenige Ding zu bezeichnen, zu dessen Vergeltung und Entschädigung ein anderes ist oder seyn soll. Ich habe zehn Thaler dafür gegeben. Ich bezahle dafür acht Groschen. Geld für die Waaren, Lohn für die Arbeit bezahlen. Ein Haus für einen Garten eintauschen. Er verkauft kleine Gefälligkeiten für große Erwartungen. Ströme von Thränen sind zu wenig für diesen Verlust. Die Freude, welche Ältern über ihre Kinder empfinden, belohnt sie für das mühsame Amt der Auferziehung, Gell. Ist das der Dank für meine Mühe? Ich danke für ihre Wohlthaten. Strafe für sein Verbrechen leiden. Für etwas büßen müssen. Was wird mir nun dafür? Eine Abgabe für die Freyheit der Messe. Hierher gehöret auch die R.A. Ich kann nichts dafür, bin nicht Schuld daran, habe es nicht verursachet.


Was kann ich denn für das, was selbst die Liebe thut?

Gell.


4) Der vorgegebenen oder vermeinten Beschaffenheit nach, sie mag die wahre seyn oder nicht. Können sie noch die Wahrheit für Schmeicheley halten? Wenn wir die Tugend für etwas halten. Er will für einen großen Mann gehalten werden. Das halte ich für ein gutes Zeichen. Ich habe es für Pflicht gehalten, sie so bald als möglich zu sprechen. Ich will es für Ernst, für Scherz aufnehmen. Er muß sichs für die größte Ehre schätzen. Da sah ich mich für die Deinige an, als die Deinige. Sich für einen Künstler, Arzt u.s.f. ausgeben. Gott für den Vater und Erhalter aller Dinge erkennen. Die Thoren sahen sich für zwey Gespenster an. Er soll den Sohn der Feindseligen für den ersten Sohn erkennen, 5 Mos. 21, 17. Du siehest die Schatten der Leute für Berge an, Richt. 9, 36. Ingleichen mit Nebenwörtern. Ich halte ihn für weise, ehrlich, klug u.s.f. Etwas für wahr, für unwahr halten. Man hält ihn des Glückes für unwürdig, weil er es nicht erkriechen will, Gell. Ich halte es ihnen für übel, daß sie noch so mit mir umgehen, ebend. Ich fand es nicht für gut, mich ihm näher zu entdecken. Und findet bald für gut, ebend. Wenn du es für nöthig befindest, ebend. Mir hats der Fuchs für ganz gewiß erzählt, ebend. als eine ganz gewisse Sache. Man will für gewiß behaupten, daß u.s.f. Ich glaube für gewiß, Opitz. Ich will es für empfangen annehmen, so als wenn ich es empfangen hätte. Der ich wil fur eigen leben, Heinr. von Sax. S. Fürlieb und Fürwahr. Hier kann es auch oft ausgelassen werden. Ich finde es nicht gut, zu ihm zu gehen. Man will gewiß behaupten. Ja in manchen Fällen würde die Anwesenheit des Vorwortes das Ohr beleidigen. Etwas übel nehmen, nicht für übel nehmen. Er hält sich dazu zu vornehm, nicht für zu vornehm. Hieher gehöret,

5) Auch der Gebrauch, das Vorwort dem unabänderlichen fragenden Pronomini was beyzufügen, wo für gleichfalls der Beschaffenheit zur Begleitung dienet. Was für ein Mann ist das? d.i. welches ist sein Stand? welches sind seine Eigenschaften? Was für ein Geschrey ist das? Zu was für einem Zweck? Aus was für einem Lande ist er? Was für elende Menschen sind wir nicht! Was für Vorwürfe werde ich hören müssen! Du glaubest nicht, was für eine nöthige Sache das ist. Für läßt sich hier in den meisten Fällen von dem was treunen. Sie wissen nicht, was Herrschaften für eine Noth mit dem Gesinde haben, Gell. Was haben sie mir denn für einen Antrag zu machen? ebend. Was ist die freche Stirn einer unkeuschen Person für ein widriger Anblick! ebend. Was ist das für eine neue Lehre? Was hast du für Gründe.


Nie sey von euch empfunden,

Was diese schöne Welt

Für Wunder in sich hält,

Weiße.


Im Oberdeutschen ist es nicht selten, das für auszulassen.


Was gelück mag doch newr haben der,

Theuerd. Kap. 87.


Was Anmuth hat mir deine Red erregt!

Opitz.


Was Schein, was Änderung doch würde diese Zeit

Ihm zeigen,

Opitz.


Die Nachwelt wird noch sagen,

Was Lust er sich versagt, was Schmerzen er ertragen,

Haller.


Unter was Schein und Vorwand es auch sey. Zu was Ende. Welche Ellipse aber im Hochdeutschen, selbst in der Dichtkunst, eine schlechte Wirkung thun würde. Die ältere Oberdeutsche Mundart zog dieses was für gern in waser zusammen, welches auch Luther einige Mahl behalten hat. Aus waser Macht thust du das? aus was für Macht. Siehe Waser. Die Schweden gebrauchen ihr what för eben so, wie die Deutschen ihr was für.

2. Den unmittelbaren Gegenstand einer Handlung oder Wirkung, obgleich wiederum auf verschiedene Art.

1) Den Gegenstand der Richtung; freylich nur in einigen Fällen. Sorgen für die Zukunft. Aus Liebe, aus Achtung für dich verschweige ich es. Ich thue es aus Liebe, aus Freundschaft für dich. Ehrfurcht erfüllt uns für den Redlichen, dessen Asche hier ruht, Geßn. Sie hat keine Neigung für den Grafen. Ich zittre für dich.


Für Görgen ist mir gar nicht bange,

Gell.


Was ich und was mein Herz für sie empfinden müssen,

Gell.


2) Den Gegenstand der Bestimmung. Futter für das Vieh. Ein Behältniß für Staatsgefangene. Eine Liebe unter Herzen, die sich für einander geschaffen fühlen, Dusch. Spare deine Kräfte für die Lebendigen. Laß mich diese Erzählung für eine bessere Stunde aufbehalten. Ein Geschenk für seine Freunde. Für wen hat mich das Schicksal bestimmt? Bin ich nur für diese Welt geschaffen? Daure ich fort, so bin ich unendlich glücklich, daß ich auf der Erde für die Ewigkeit gelebt habe, Gell.

3) Den Gegenstand des Eigenthumes, des Besitzes; nur in einigen Fällen. Er nahm davon so viel er konnte, für sich. Das behalte ich für mich; welche R.A. aber auch figürlich bedeuten kann, das verschweige ich. Er hat einiges Vermögen für sich.

4) Den Gegenstand eines Interesse, der durch den Beysatz näher bestimmt wird. Das ist eine für das menschliche Geschlecht sehr wichtige Frage. Das ist eine Lehre für dich, eine Warnung für mich. Kann dieses noch eine Beruhigung für dich seyn? Eine unangenehme Nachricht für unser Herz. Sie haben sie geliebt, nur zu sehr für ihre Ruhe und Glückseligkeit geliebt. Die Unsterblichkeit läugnen ist für das Herz so verderblich, als Gott selbst läugnen, Gell. Besonders,

5) Den Gegenstand des Nutzens, des Vergnügens, der Sicherheit, des Vortheils, des Dienstes. Für das Vaterland streiten. Für jemanden bethen. Für etwas sorgen. Ihr Märtyrer für die Ehre der menschlichen Natur. Ich bin nicht für die Lustbarkeiten, nehmlich gesinnet. Mein Herz wollte lieber alles für dich leiden. Eine Person, für welche das Blut in mir spricht, Gell. Ich arbeite für ihr Glück, ebend. Ihn hält die Ruhe der Nacht nicht ab, für unsers Alters Freude zu sorgen, Geßn. Ihr Herz ist zu sehr für ihn eingenommen. Ich will alles für dich thun. Er hat vielen Grund für sich, zu seinem Behuf, zu seinem Vortheil. Er hat den Ruf eines vernünftigen Mannes für sich. Ich stehe für allen Schaden. Wer bürgt mir dafür? Wer wird wohl für ihre Treue Bürge werden wollen?


So bist du Sylvia nur schön für dich allein,

Gell.


Ich lebe nur für ihn. Wenn ich weiß, daß ihr Herz für mich fühlt. Wenn wird für mich wieder eine Sonne scheinen? Weiße. Ein rechtschaffnes Herz hat an dem Bewußtseyn seiner Wünsche starke Beweise für die Unsterblichkeit, Gell.

Oft bleibt das Vorwort weg, und alsdann vertritt die dritte Endung dessen Stelle. Das Kind ist mir zu klein. Dem Geschäfte das er erwählet, ganz zu leben, Gell. Nun wollen wir uns selber leben, Kleist.


Dir schmückt das fromme Mädchen sich

Bey ihrem Morgenliede,

Raml.


Auch mir erheben sich Opfer

Von den goldnen Altären, auch mir erbebte der Tempel,

Klopst.


Hierher gehöret vermuthlich auch der reciproke Gebrauch für sich seyn, für sich leben, für sich bleiben, allein, außer der Verbindung, außer der Gesellschaft mit andern. Er will nicht heirathen, sondern für sich allein leben. Wer unverträglich ist, der bleibe doch für sich. Er lebt stille und einsam für sich. Ingleichen für sich in Gedanken reden, mit sich selbst reden.

6) Den Gegenstand des Widerstandes; für wider. Min trost vür sende not, einer der Schwäb. Dichter. Ein Pflaster für alle Schäden. Eine Arzeney für das Fieber. Das hilft für Hunger und Durst, für die Kopfschmerzen. Alter hilft für Thorheit nicht. So wenig wir für diesen Kummer noch ein Heilungsmittel haben ausfündig machen können, Weiße. Ich thue es für die lange Weile, d.i. zur Vertreibung der langen Weile. Sollte es aber eine wirkende Ursache bedeuten, so müßte es vor langer Weile heißen, so wie man sagt, vor Hunger sterben, vor Freude außer sich seyn, ich möchte vor großer Angst vergehen. S. Vor.

7) Den Gegenstand einer entferntern oder zufälligen Beziehung, für: in Ansehung, in Betrachtung. Er ist kein Mann für mich, schickt sich nicht für mich, gefällt mir nicht. Der Tokayer ist nur ein Getränk für große Herren, weil nur die ihn bezahlen können. Er hat ein feines Gefühl für die Ehre. Dein Herz ist für die Rachgier zu hoch. Das ist für mich zu theuer, zu schwer, zu dunkel u.s.f. Das schickt sich nicht für meinen Stand. Das ist ein Mann für Julchen. Er hat Gesundheit für die schwerste Seereise. Ach, gibt es für mich noch einen heitern Himmel und eine sanfte Luft? Weiße. Ich habe keine Geheimnisse für dich. Für meine Freunde bin ich jederzeit zu Hause. Ist das eine Aufführung für eine wohl gerathene Tochter? Berge und Ströme sind geringe Hindernisse für die Liebe. Die Nächte, wo du deine Augen nicht schlossest, waren auch für mich schlaflos, Dusch. Das Feuer haucht Plagen für ihn, Kleist. Für das gegenwärtige Leben habe ich sie verloren, aber für die Ewigkeit muß ich sie retten, Hermes.


Der Weg so kurz er war, war für die Schnecke weit,

Lichtw.


Denn dein Entwurf der Liebe

Ist noch zu ordentlich für die so regen Triebe,

Gell.


In der poetischen Schreibart läßt sich auch hier das Vorwort zuweilen verschweigen, und durch die dritte Endung des Hauptwortes ersetzen. Ihm ist die Schöpfung erstorben, Kleist. Ihm blüht auf Auen das Unglück, ebend.

3. In vielen Fällen dienet dieses Vorwort zur nähern Bestimmung des Subjectes. Er, für seine Person, oder für sein Theil, ist kein Freund davon. Seine Bagage ist schon abgegangen, aber er, für seine Person, (was seine Person betrifft,) wird erst morgen abreisen. Ich, für meine Person, bin es sehr wohl zufrieden


Für mich gesteh ich gern, daß ich es nicht begreife,

Hag.


An und für sich betrachtet, d.i. ohne Beziehung auf andere Dinge. Vergnügungen, die an und für sich erlaubt sind. Das Tanzen kann an und für sich unmöglich Sünde seyn. Die Liebe, die für sich ein verzehrendes Feuer ist. Ingleichen zur nähern Bestimmung.

4. Einer Zeit, doch nur in einigen bereits eingeführten Fällen. Für jetzt, so viel die gegenwärtige Zeit betrifft. Für jetzt entschuldge mich, Gell. Für jetzt gehöret es mir zu, ebend. Fürjetzt zusammen gezogen zu schreiben, ist eben so widersinnig, als wenn man fürheute, fürdießmahl u.s.f. schreiben wollte. Für dießmahl will ich es dir vergeben, richtiger für dieses Mahl, oder für dieß Mahl.


O Muse stimme noch für dießmahl meine Lieder,

Cron.


Für heute bin ich gesättiget. Aber, ich gehe für einige Zeit auf das Land, Hermes, anstatt auf einige Zeit, ist wider den Sprachgebrauch. Sich für beständig an einem Orte aufhalten.

5. Einer Ordnung

1) Bey Zahlwörtern. Für das erste, oder fürs erste, für das zweyte, für das dritte u.s.f. zum ersten u.s.f. Und das sollt ihr für das erste wissen, daß u.s.f. 2 Petr. 1, 20. Fürs erste bedeutet oft auch jetzt, gegenwärtig. Betrachten mag ich dich fürs erste nicht, Less. Womit vorerst nicht zu verwechseln ist, welches vorher, zuvörderst, bedeutet.

2) Bey Hauptwörtern. Mann für Mann mustern, einen Mann nach dem andern, und zwar jeden besonders. Eine Sache Stück für Stück durchgehen. Fuß für Fuß. Die Feinde machten uns den Boden Fuß für Fuß, oder Schritt für Schritt streitig. Lassen sie mich Scene für Scene lesen.


Du weißt, daß Tag für Tag, dein alter Vater keift,

Rost.


Viele gebrauchen hier das Vorwörtchen vor. Du murrest Tag vor Tag, Gottsched. Frisch vertheidiget dieses vor aus dem Grunde, weil es hier eine Bewegung vor sich hin bedeute, nicht aber den Sinn des anstatt habe. Allein aus dem vorigen erhellet, daß für noch weit mehr Bedeutungen hat als anstatt; und daß es hier vor sich hin bedeute, ist völlig unrichtig. Endlich

6. Gehöret hierher auch diejenige Art des Gebrauches, wo für, nach dem Muster des Latein. pro, in einigen Fällen als eine Art des Schwures gebraucht wird. Ich möchte fürn Henker wissen, wer euch dazu bestellt hat, Weiße. Besonders in der R.A. ich höre es für mein Leben gern, d.i. überaus gern. Für mein Leben hätte ich ihn gern kennen mögen, Weiße. Das Schwed. för wird gleichfalls in Schwüren gebraucht.

Anm. Es ist mehrmahls, selbst in den neuesten Zeiten, darüber gestritten worden, ob für und vor wirklich unterschieden sind, und ob sie im Gebrauche unterschieden werden müssen; aber da es auch eben so oft auf beyden Seiten an der nöthigen Sprachkenntniß gefehlet hat, so belohnet es wohl die Mühe, diese Sache noch Ein Mahl zu untersuchen.

So fern das Wesentliche eines Wortes in dessen Abstammung bestehet, sind für und vor nicht wesentlich verschieden. Eines stammet von dem andern ab, so wie auch die untrennbaren Partikeln er-ur- und ver- mit zu ihrer Verwandtschaft gehören. Selbst das Griech. προ, das Latein. pro und prae, bey den ältesten Römern pri, wie aus privignus, pristinus, primus u.s.f. erhellet, sind damit verwandt. Der Unterschied zwischen für und vor rühret ursprünglich von den Mundarten her. Bey dem Ulphilas lauten beyde ohne Unterschied faur; die mit der Gothischen Sprache verwandte Oberdeutsche Mundart, welche die breiten Mitlauter so gern den runden vorziehet, sagte fur und für, die Niederdeutsche aber, die ihrer Natur nach den letztern gewogen ist, för und vor.

Da aber die Mundarten durch Wanderungen, Handel und Wandel sehr frühe mit einander, wenigstens gewisser Maßen, vermischet worden, so geschahe es, daß dieses Vorwort, als ein unentbehrliches und sehr oft vorkommendes Wort, in verschiedenen sehr alten Gegenden unter verschiedener Gestalt üblich wurde. Die Römer hatten prae, pro, per und in Zusammensetzungen auch noch pri; bey den ältesten Alemannischen Schriftstellern finden sich fora (vor,) furi (für,) fuori und fure; bey den Angelsachsen for, fyr und fyre; bey den Isländern firi und fyri; bey den Holländer voor und veur; bey den Niedersachsen for und för. Nur die Schweden und Dänen haben allein för und fore, welches bey ihnen nicht nur für und vor, sondern auch in Zusammensetzungen unser ver vertreten muß.

Es ist also dieses Vorwort wirklich unter den beyden Gestalten vor und für (fora und furi) schon bey den ältesten Oberdeutschen vorhanden gewesen; allein man gebrauchte sie ohne allen Unterschied, so wie es einem jeden einfiel, und in so fern hat Wachter Recht, wenn er behauptet, man treffe von dem Unterschiede der Wörter vor und für bey den alten Schriftstellern keine Spur an. Fora solichem tati, vor solche That, anstatt furi, für, Kero. Gibuntan furi kuninga, ante, anstatt fora, Ottfried. Furifaren, vorüber gehen, ebend. Thara furi, vor das, ante, anstatt fora; Furibringen, hervor bringen; Gan furi, hervor gehen, ebend. Furineman, vornehmen; Furebringen, vorbringen; Ih kume fure dih, vor dich, Notker. Fuori inan, vor ihm, der Übersetzter Tatians. Und so in tausend andern Stellen mehr. Eben so wenig unterschieden die Angelsachsen ihr for und fyr, die Holländer ihr voor und veur, und die Niedersachsen ihr for und för; und noch jetzt weiß der große Haufe so wohl der Ober- als Niederdeutschen von keinem Unterschiede, nur mit der Abänderung, daß jene sich häufiger des für, diese aber mehr des för bedienen.

Da aber dieses Vorwort nach und nach sehr viele, zum Theil einander widersprechende Bedeutungen bekam, so mußte es nothwendig allerley Zweydeutigkeiten und Dunkelheiten verursachen. Man merkte solches gar bald, und fing daher schon früh an, die Wörter fort, er, ur, und ver, davon abzusondern; denn alle diese Begriffe mußte das furi oder für bey den Oberdeutschen ausdrucken, und zum Theil hat es diese Pflicht noch. S. Fort, Für I. Nur die beyden heutigen Vorwörter für und vor blieben lange vermischt, so groß auch die Zweydeutigkeit ist die diese Vermischung in manchen Fällen machen muß. Peter ging vor Hansen zum Galgen, ist ganz etwas andres, als für Hansen; einen für sich predigen lassen, ganz etwas andres, als vor sich, und so in tausend Fällen mehr. Man muß indessen diese Zweydeutigkeiten nicht für so wichtig gehalten haben; denn es ist gewiß, daß man vor Luthers Zeiten keinen Schriftsteller aufweisen kann, der beyde Vorwörter beständig und mit Bewußtseyn unterschieden hätte. Die Oberdeutschen gebrauchten beständig ihr für, und es geschahe nur selten, daß ihnen Ein Mahl das mehr Niederdeutsche vor entwischte, und die Niedersachsen hütheten sich gar sehr, sich an dem Oberdeutschen für zu vergreifen.

Fast scheinet es, daß schon Luther an einen beständigen Unterschied beyder Wörter gedacht habe; aber er blieb sich doch nicht immer gleich. In den heutigen Ausgaben der Deutschen Bibel werden beyde Vorwörter in vielen Stellen sehr richtig, aber in fast eben so vielen fast gar nicht unterschieden. Z.B. Friede vor der Furcht haben, Hiob 21, 9, für Furcht, anstatt der Furcht; für Furcht wegziehen, Es. 31, 9, vor Furcht; für Furcht schreyen, erschrecken. Matth. 14, 26, Kap. 28, 4; aus Furcht für den Jüden, Joh. 19, 38; es ist keine Furcht Gottes für ihren Augen, Röm. 3, 18, vor ihren Augen; für das Gebeth die Ohren zustopfen, Klagel. 3, 8, vor dem Gebethe u.s.f. Doch da ich die letzte bey seinem Leben heraus gekommene Ausgabe jetzt nicht bey der Hand habe, so will ich nicht entscheiden, ob solches auf seine Rechnung, oder auf die Rechnung seiner spätern Herausgeber zu schreiben ist. Gegen das Ende des sechzehenten Jahrhundertes ward dieser Unterschied beliebter und allgemeiner. »Bey guten Authoren,« sagt Joh. Rud. Sattler in seiner Orthographey und Phraseologey von 1607, »die noch vor wenig Jahren im Truck außgegangen, wirdt gefunden; daß dieser Unterschied zwischen dem für und vor gehalten worden: für haben sie gebraucht anstatt des Lateinischen pro, als für einen schreiben; sodann das vor anstatt des Lateinischen ante, als: er ist vor ihm allhier gewesen, vorgehn, vormahls« u.s.f. Die Hochdeutschen, d.i. die Meißner, denen das vor aus ihrem gemeinen Sprachgebrauche, das für aber aus Oberdeutschen Schriften geläufig war, haben zu diesem Unterschiede das meiste beygetragen, der nachmahls durch die fruchtbringende Gesellschaft gewisser Maßen zu einem Gesetze gemacht wurde.

Da man zugleich darauf fiel, den Unterschied zwischen beyden Wörtern durch das Latein: pro, prae, und ante zu bestimmen, so verursachte solches lange Zeit viele Schwierigkeiten und Ungewißheiten. Diese Lateinischen Vorwörter waren in Rom, selbst zu dessen blühendsten Zeiten, eben so unbestimmt und schwankend, als vor und für im 16ten Jahrhunderte. Man sagte pro tribunali, pro concione, pro suggestu, pro pedibus abjicere, pro oppido, pro vallo, pro castris legiones constituere, prae patre suo beatus, nomen ejus prae meo citatur u.s.f. wo ein Deutscher das für sehr unrichtig anbringen würde. Die Regel, für da zu setzen, wo man auch anstatt gebrauchen kann, erschöpfte die Sache auch nicht, und man ist erst nach und nach durch eine stillschweigende Übereinkunft dahin gekommen, das für in den oben von mir angezeigten Fällen zu gebrauchen; ein Vertrag, der nunmehr wenigstens alle Schriftsteller von Geschmack und Kenntniß verbinden muß, wenn gleich der große Haufe sich dadurch nicht Fesseln anlegen lassen will.

Etwas streitiger sind zum Theil noch die mit vor und für zusammen gesetzten Wörter. Da es schwer ist, sich in den gehörigen Grenzen zu halten, wenn man Ein Mahl angefangen hat, zu reformiren, so wollte man auch hier alle Wörter mit für geschrieben wissen, in denen man nur einigen Schein von der Bedeutung des anstatt sahe oder zu sehen glaubte. Man schrieb also nach dem Muster der Oberdeutschen Fürbild, fürenthalten, Fürschrift, Fürgänger, fürhaben, fürhalten, Fürsatz, Fürschlag, fürsehen, Fürsorge, fürwerfen, Fürwitz, Fürsehung u.s.f. welche die Hochdeutschen bisher beständig mit vor zusammen gesetzet hatten. Allein, man ging hierin offenbar zu weit. In vielen dieser Wörter hat das Vorwort unläugbar die Bedeutung des vor, wie bey jedem Worte insbesondere an seinem Orte gezeiget werden soll. In andern, wo es wirklich die Bedeutung des heutigen für hat, scheinet es, einige wenige Fälle ausgenommen, doch nicht nöthig zu seyn, das vor, dem gemeinsten Gebrauche zuwider, mit für zu vertauschen. In der Theilung der Begriffe hat vor die eigentlichen, für aber einige seiner figürlichen Bedeutungen erhalten. Wenn nun ein zusammen gesetztes Wort dieser Art beyde Bedeutungen hat oder haben kann, muß ich es denn deßwegen auf zweyerley Art schreiben? Zum Beyspiele Vorsorge bedeutet eine Sorge, die aus Klugheit zum voraus geschiehet, und da hat es ohne Widerrede vor; aber es bedeutet auch eine Sorge für oder zum Besten eines andern Dinges. Soll ich es um dieser figürlichen Bedeutung willen Fürsorge schreiben? Ich glaube, eben so wenig, als es in andern Fällen erlaubt ist, die figürliche Bedeutung von der eigentlichen durch die Schreibart zu unterscheiden; zumahl da solche Zweydeutigkeiten, welche den Unterschied des für und vor nothwendig machten, hier nicht zu besorgen sind. Ein mehreres wird bey einem jeden hierher gehörigen Worte selbst vorkommen. Hier will ich nur noch bemerken, daß man diejenigen Wörter, die man nicht in Für- findet, in Vor- zu suchen habe.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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