Fehlen (2)

Fehlen (2)

2. Fêhlen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert, und in zwey Hauptbedeutungen üblich ist.

I. Aus Mangel der Erkenntniß oder aus Übereilung nicht so handeln, wie man wollte, oder wie man sollte. 1. Das vorgesetzte Ziel aus einem Versehen nicht erreichen; im Gegensatze des Treffens. So fehlet der Jäger, wenn er dasjenige nicht trifft, wornach er zielet. Sie konnten mit der Schleuder ein Haar treffen, daß sie nicht fehlten, Richt. 20, 16. Er schlug nach mir, aber zum Glück fehlete er. Soll die Art und Weise näher bestimmt werden, so gebraucht man dazu das Nebenwort fehl mit den Zeitwörtern gehen, hauen, schlagen, schießen u.s.f. nachdem die Sache es erfordert. Wird das Ziel, welches man wider seine Absicht nicht getroffen hat, zugleich mit ausgedruckt, so stehet es, wenn es ein Hauptwort ist, am häufigsten in der zweyten Endung. Wir haben des rechten Weges gefehlet, Weish. 5, 6. Sie fehlen ihres Weges selten, Gell. Das Recht, so ihn strafen soll, wird sein nicht fehlen, Weish. 1, 8. Selten in der vierten. Doch fehle nicht den Weg, Gottsch. Warum mußte seine Regel mich fehlen? Am sichersten und häufigsten gebraucht man im Hochdeutschen in diesem Falle das zusammen gesetzte verfehlen. 2. Figürlich, einen Fehler begehen, aus Mangel der Erkenntniß oder aus Übereilung nicht nach der Regel handeln. 1) Nicht nach der Regel der Kunst und der Wissenschaft. In der Aussprache, in der Wortfügung fehlen. Der Mahler fehlt durch falsche Striche u.s.f. 2) Nicht nach der Regel der Wahrheit, irren, die Wahrheit verfehlen. Er hat nur um fünf Jahre gefehlet. Denn die Priester können nicht irren im Gesetz, und die Weisen können nicht fehlen mit Rathen, Jer. 18, 18. Sein Mund fehlet nicht im Gericht, Sprichw. 16, 10. Im Muthmaßen fehlet man leicht. 3) Nicht nach der Regel der Klugheit, und der Sitten. Ich habe gefehlt, ich bekenne es. Du hast dieß Mahl in der Höflichkeit gefehlet. Große Leute fehlen auch. Ich will lieber durch den Überfluß der Freundschaft fehlen als durch den Mangel, Gell. 3. Fehl schlagen, wider die Erwartung erfolgen, mißlingen. Ich glaubte, es könnte mir nicht fehlen. Dein Anschlag wird dir gewiß fehlen. 4. Nicht antreffen, nur im Infinitive mit zu. Er ist in der Kirche nie zu fehlen, er ist beständig in der Kirche anzutreffen.


Das im all sein anschleg

Wollten felen in alle weg,

Theuerd. Kap. 63.


Den Bösen fehlet ihr Begehren

Wenn sie sich noch so sehr befleißen,

Opitz Ps. 112.


Gott lässets fehlen den Vesten, Hiob 12, 19. Umsonst, der Anschlag fehlt, Rost. Und da die That gefehlt, hieß sie den Willen gut, ebend.

II. Abwesend seyn, von Dingen, die der Regel, der Bestimmung, der Erwartung, oder auch nur dem Begriffe des Subjectes nach anwesend seyn sollten oder könnten. 1. Eigentlich. Wie viel Gäste fehlen noch? Es fehlt niemand mehr von den Gästen. Es fehlen noch sechzehn Groschen an zehen Thalern. Diese zehen Thaler fehlen mir noch an der Summe. Dem Garten fehlet noch vieles. Das fehlte noch zu meinem Unglücke, mein Unglück vollkommen zu machen. Dieser Verdacht fehlte noch, meinen Kummer vollkommen zu machen, Less. Ingleichen unpersönlich. Es fehlt ihm Glück und Geld; wo man aber richtiger das Vorwort an braucht. Es wird dir nie an guten Freunden fehlen. An Entschuldigungen hat es ihm noch nie gefehlet. Es fehlet nur an mir, ich, meine Bemühung fehlet noch. An mir soll es nicht fehlen, ich werde von meiner Seite nichts unterlassen. Ich weiß wohl, woran es fehlet. Es soll gewiß an meinem Gehorsam nicht fehlen, Gell. Es fehlte ihr noch an ein Paar Blumen zum Kranze, Weiße. 2. Figürlich. 1) Entfernet seyn; unpersönlich und in verschiedenen adverbischen Arten des Ausdruckes, nach dem Muster des Latein. parum, tantum abest. Wenn er meint, er habs vollendet, so fehlet es noch weit, Sir. 18, 6; wo aber die Stellung dieser R.A. in den Nachsatz ungewöhnlich ist. Es fehlet nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ werde, Apostelgesch. 26, 28. Es fehlte nicht viel, so wäre er gefallen; oder, es hat wenig gefehlt, daß er gefallen wäre. Es fehlet nicht weit, sie werden mich steinigen, 2 Mos. 17, 4; richtiger, daß sie mich steinigen, oder so steinigen sie mich. So auch mit der im gemeinen Leben üblichen elliptischen Art des Ausdruckes weit gefehlt. Weit gefehlt, daß er mich loben sollte, schmähet er mich vielmehr; an statt mich zu loben u.s.f.


Doch weit gefehlt, daß auch nur einer zagte,

So u.s.f.

Gell.


2) Eine Unvollkommenheit empfinden, so wohl am Leibe als am Gemüthe. Sie sehen so krank aus, was fehlet ihnen? Er ist selten gesund, immer fehlet ihm etwas, nehmlich an seiner Gesundheit. Was fehlet dir am Auge? Was hast du für einen Schaden am Auge? Was fehlet ihnen? fragt man auch einen Niedergeschlagenen, Traurigen und Zornigen. Ich kann es errathen, was ihm fehlt, oder wo es ihm fehlt.

Anm. 1. Das Hauptwort die Fehlung ist nicht gebräuchlich. Die biblische Wortfügung mit der zweyten Endung, du zertrittest alle die deiner Rechte fehlen, Ps. 119, 118, der wahren Liebe haben etliche gefehlet, 1 Tim. 1, 6, und fehlen des Glaubens, Kap. 6, 21, der Wahrheit, 2 Tim. 2, 18, für ermangeln, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich, eben so wie der Gebrauch Weish. 2, 9, unser keiner lasse ihm fehlen mit Prangen, lasse es am Prangen fehlen.

Anm. 2. Dieses Zeitwort lautet im Nieders. feilen, im Holl. feylen, im Dän. feile, im Engl. to fail, im Franz. faillir, im Schwed. fela, im Ital. fallare, im mittlern Lat. fallire, fallere, fellere, falescere. Das Lat. falli, und die Deutschen Wörter fallen und falsch, sind genau damit verwandt. Indessen ist doch sonderbar, daß dieses Wort so wie fehl, Fehl, Fehler u.s.f. bey den ältesten Oberdeutschen Schriftstellern, so viel ich wenigstens weiß, niemahls vorkommt. Da die zweyte Hauptbedeutung der Abwesenheit, sich nicht füglich als eine Figur der ersten ansehen lassen will: so sind einige, besonders nordische Wortforscher, darauf gefallen, fehlen in dieser Bedeutung als ein von dem vorigen ganz verschiedenes Zeitwort anzusehen, welches von dem alten feh, wenig, Franz. peu, Engl. few, bey dem Ulphilas fawai, bey dem Kero fohe, im Angels. fea, abstamme. Siehe Feige adject. Anm. Doch die Sache ist noch zu dunkel, als daß man sie für etwas weiter als Muthmaßung sollte ausgeben können. Rechnet man dieses Wort zu dem Geschlechte des alten felen, bedecken, (S. Fell,) so werden sich vielleicht beyde Bedeutungen auf eine ungezwungene Weise davon herleiten lassen.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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