Haft

Haft

Haft, eine Endung, welche, wie man glaubt, von haben abstammet, und vielen Haupt- und Zeitwörtern, wie auch einigen Nebenwörtern angehänget wird, die dadurch zu Bey- und neuen Nebenwörtern werden. Sie bedeutet:

1. Das Daseyn, die Anwesenheit derjenigen Sache, welche das Wort, dem sie angehänget wird, bezeichnet.

1) Eigentlich, die bloße Anwesenheit ohne allen Nebenbegriff zu bezeichnen; wo sie mit der Endung -ig und -isch überein kommt, in welchem Falle sie nur Hauptwörtern zugesellet wird. Dergleichen sind bresthaft, oder wie es gemeiniglich lautet, preßhaft, gewissenhaft, mangelhaft, fehlerhaft, schadhaft, schmackhaft, statthaft, herzhaft, nahmhaft, lebhaft, nahrhaft, so fern es von Städten, Örtern gebraucht wird, frevelhaft, handhaft, lehrhaft, wofür doch jetzt lehrreich üblicher ist, lückenhaft u.s.f. Woraus zugleich erhellet, daß diejenigen Hauptwörter, welche sich auf -en endigen, dasselbe im Singular wegwerfen, wie in bresthaft, schadhaft, nahmhaft, lebhaft geschiehet; gewissenhaft ausgenommen, welches es behält. Alle diese Wörter bedeuten eine bloße Anwesenheit des Subjectes, einen Bresten oder Gebrechen, ein Gewissen, einen Mangel, einen Schaden, einen guten Schmack oder Geschmack u.s.f. habend. In einigen wenigen Wörtern scheinet ein Zeitwort zum Grunde zu liegen, und da bedeuten diese Wörter so viel als das Mittelwort der gegenwärtigen Zeit. Habhaft, für habend, den Besitz einer Sache habend, daher dieses Wort um der Vieldeutigkeit des Zeitwortes haben willen, für keine Tavtologie gehalten werden kann; an einem Orte wohnhaft oder seßhaft seyn, wohnend oder ansitzend; reuhaft, eine Sache wirklich bereuend; das veraltete bärhaft, bärend, d.i. wirklich Frucht bringend; schmerzhaft, wirklich schmerzend. Aber in bauhaft, eine bauhafte Zeche, welche wirklich gebauet wird, vertritt es die Stelle des Mittelwortes der vergangenen Zeit.

2) In engerer Bedeutung, eine beständige oder doch mehrmahlige Anwesenheit des Subjectes, gleichsam daran haftend. Sieghaft, in mehrern Fällen den Sieg davon tragend; ein kummerhaftes Leben; glückhaft, in mehrern Fällen Glück habend; dauerhaft, eine anhaltende Dauer habend; standhaft, eine anhaltende Beständigkeit habend; welche insgesammt aus Hauptwörtern gebildet sind.

3) In noch engerer und figürlicher Bedeutung, eine Neigung zu derjenigen Eigenschaft habend, welche das Subject anzeiget, und in engstem Verstande, eine Fertigkeit in derselben besitzend. Dahin gehören von Hauptwörtern, sündhaft, gewissenhaft, Neigung, Fertigkeit besitzend, nach dem vorher gehenden Gewissen zu handeln; tugendhaft, lasterhaft, schreckhaft, geneigt, leicht erschrecket zu werden; schwindelhaft, zum Schwindel geneigt; vortheilhaft, so fern es zuweilen für eigennützig gebraucht wird; diensthaft, welches im Oberdeutschen für dienstfertig üblich ist; lebhaft, so fern es von einer natürlichen Neigung gebraucht wird; grillenhaft, zu Grillen geneigt; schamhaft, lügenhaft u.s.f. Ingleichen von Zeitwörtern, welche in diesem Falle ihr -en, oder -n wegwerfen: boshaft, (besser boßhaft,) geneigt, sich zu erboßen, und figürlich, andern zu schaden, haderhaft, zankhaft, im Oberdeutschen für zänkisch, spaßhaft, frevelhaft, plauderhaft, schwatzhaft, waschhaft, plapperhaft, flatterhaft, gaukelhaft, tändelhaft, schmeichelhaft, das veraltete krieghaft für kriegerisch, naschhaft, polterhaft, prahlhaft, zaghaft u.s.f. Einige wenige scheinen aus Nebenwörtern gebildet zu seyn, wie leckerhaft und wahrhaft. Nach einer gewöhnlichen Figur bedeuten alle diese Wörter auch etwas, das in dieser Neigung, in dieser Fertigkeit gegründet ist, daraus herfließet. Ein gewissenhaftes Betragen, eine tugendhafte Handlung, eine lasterhafte Gesinnung, eine prahlhafte Erzählung u.s.f.

2. In einigen Fällen theilet diese Endung den Wörtern, welchen sie beygefüget wird, eine mehr thätige Bedeutung mit, wo sie denn die Hervorbringung einer Sache bezeichnet. Dergleichen sind, schmerzhaft, Schmerzen verursachend, schmerzlich, eine schreckhafte Nachricht, welche Schrecken verursacht, eine ekelhafte Sache, eine nahrhafte Speise, eine vortheilhafte Gelegenheit, tadelhaft, Tadel erweckend oder verdienend, glaubhaft, Glauben verdienend, das Nieders. brüchthaftig, strafwürdig u.s.f.

3. In noch andern, deren Zahl aber nicht groß ist, vertritt sie die Stelle der Endung -bar, und bezeichnet eine bloße Möglichkeit. Ein wohnhafter Ort, wo man wohnen kann; eine theilhafte Sache, welche sich mit Vortheil vertheilen lässet; arthaftes Land, welches geähret oder gepflüget werden kann; einen Acker bauhaft machen; wehrhafte Unterthanen; dauerhaft, so fern es dauern kann; ein lehnhaftes Gut u.s.f.

4. Weit größer ist die Anzahl derjenigen Wörter, wo es eine bloße, bald größere, bald geringere Ähnlichkeit bezeichnet, und darin mit den Wörtern auf -mäßig, -artig, -icht, -lich, -isch, -sam u.s.f. überein kommt. Alle Wörter dieser Art kommen von Hauptwörtern her, wie z.B. aashaft, angsthaft, alaunhaft, bettelhaft, bierhaft, bleyhaft, erdhaft, eisenhaft, fieberhaft, flegelhaft, eselhaft, eiterhaft, tintenhaft, fabelhaft, gabelhaft, geckhaft, schalkhaft, götterhaft, grillenhaft, hasenhaft, herbsthaft, sommerhaft, winterhaft, kernhaft, kreidenhaft, laugenhaft, regenhaft, kinderhaft, schülerhaft, meisterhaft, musterhaft, schneiderhaft, stammhaft, pfuscherhaft, mannhaft, einem tapfern Manne ähnlich, so wie männlich nur einem gesetzten Manne ähnlich bedeutet, u.a.m.

Diese letzte Bedeutung ist beynahe die einzige, wo man die Freyheit hat, neue Wörter dieser Art zu bilden, welches aber auch nur alsdann Statt findet, wenn nicht schon ein gleich bedeutendes Wort mit einer andern Endung vorhanden ist. So sagt man nicht teufelhaft, sondern teufelisch, nicht fürstenhaft, sondern fürstlich oder fürstenmäßig. Am weitesten erstrecket sich diese Freyheit in Ansehung der Ähnlichkeit des Geschmackes und Geruches, wo man es beynahe allen Hauptwörtern wird anhängen können, einen ihnen ähnlichen Geschmack und Geruch zu bezeichnen. Von der Ähnlichkeit der innern Bestandtheile, der Bauart, gebraucht man lieber -artig, obgleich auch laugenhaft, erdhaft u.s.f. für laugenartig, erdartig, eingeführet sind. Von der Übereinstimmung mit einer andern Sache, ist -mäßig üblicher; daher man für planhaft, regelhaft lieber planmäßig, regelmäßig sagt; außer wenn diese Übereinstimmung als eine Figur der ersten Bedeutung angesehen werden kann, und alsdann zunächst in einer Neigung gegründet bedeutet, wie tugendhaft, lasterhaft u.s.f.

Anm. Diese Endung ist alt, und kommt schon in unsern ältesten Denkmählern, obgleich noch nicht so zahlreich vor. Sie scheinet ihren Ursprung zunächst aus der Oberdeutschen Mundart zu haben; denn in den Niederdeutschen Mundarten und Nordischen Sprachen trifft man sie entweder gar nicht, oder doch so selten an, daß man sie kaum für ein einheimisches Product halten kann. Die Niedersachsen und Holländer, wo ihre Mundart noch nicht durch die Oberdeutsche verändert ist, gebrauchen in vielen, wo nicht den meisten Fällen achtig dafür; daher es glaublich wird, daß -haft und -achtig, und -icht, welches aus dem letztern zusammen gezogen ist, im Grunde eine und eben dieselbe Endung sind. Der Übergang des Hauchlautes in den Blaselaut ist nichts seltenes. Das Oberdeutsche after lautet im Niederdeutschen achter, Haft lautet daselbst Hacht u.s.f. Indessen leiten Wachter, Frisch und mit ihnen fast alle Wortforscher unser -haft von haben her, und haben dabey freylich auch viele Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite. S. die folgenden Artikel.

Würde sich diese Ableitung von -achtig einmahl mit überwiegenden Gründen darthun lassen, so ließe sich auch begreifen, warum man den Wörtern auf -haft so gern ein der Bedeutung nach ganz unnützes -ig anhänget; wahrhaftig, standhaftig, tugendhaftig, zaghaftig u.s.f. Indessen kann dieses ig auch aus dem i entstanden seyn, welches man ehedem dem haft anhängete. Redihaftiu rahha, eine vernünftige Sache, Kero, eerhafti, fromm, ebend. unekihafti, ungesittet, ebend. sorachafti, verdächtig, ebend. Im Oberdeutschen ist diese Form sehr gebräuchlich; allein im Hochdeutschen klingt sie niedrig, daher man sie in der edlen und anständigen Schreibart alle Mahl vermeidet. Nur leibhaftig, d.i. körperlich, theilhaftig, Theil oder Antheil habend, und wahrhaftig, so fern es zu einem Schwure dienet, denn außer dem sagt man lieber wahrhaft, sind auch im Hochdeutschen üblich. Es läßt sich dieses angehängte ig auch aus der Oberdeutschen Liebe zu langen Wörtern erklären, welche so weit gehet, daß man zu diesem ig, besonders in der Adverbialform, noch ein eben so unnützes lich füget; standhaftiglich, boßhaftiglich, glaubhaftiglich, gewissenhaftiglich u.s.f. welche alle nichts mehr sagen, als standhaft, boßhaft, glaubhaft und gewissenhaft; denn der Unterschied in den innern Graden der Stärke, den man etwa heraus, oder vielmehr hinein grübeln möchte, ist eine Grillenfängerey.

Die Alten bildeten aus den Beywörtern auf -haft, Hauptwörter auf e, oder, wie es bey ihnen lautete, auf i. Daher heißt die Mäßigkeit bey dem Kero Mezhafti, die Wahrheit Warhafti. Diese Form ist veraltet, und man gebraucht jetzt dafür die Endung -keit, vermittelst welcher aus allen Bey- und Nebenwörtern dieser Art Hauptwörter gebildet werden können, welche das Abstractum derselben ausdrucken, ob sie gleich nicht alle üblich sind. Man behält alsdann die alte Endung asti, oder wie sie jetzt lautet, aftig, welche älter ist, als ast. Die Spaßhaftigkeit, Wahrhaftigkeit, Lebhaftigkeit, Herzhaftigkeit, Gewissenhaftigkeit u.s.f. wo niemahls Spaßhaftkeit, Wahrhaftkeit u.s.f. gesagt wird. S. -ig und -keit, wo von dieser Sylbe ig noch etwas gesagt werden wird.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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