- Kein
Kein, ein Adjectiv, welches einen Gegenstand so genau bestimmet, daß es weder einer Comparation fähig ist, noch einen Artikel vor sich leidet. Es kommt in zwey einander gerade entgegen gesetzten Bedeutungen vor.
1. * Für die unbestimmten Pronomina ein und einig, wo es von dem neunten Jahrhunderte an hein, gein, ghain, chain, kein lautet. Wart ane wandel je kein wib, Ditmar von Ast, für, je ein Weib. Zu chainer wer, zu einiger Wehr, Stryk. Davon yemant kain (einiger) Schade gescheh, das sol der Scheffman gelten, in einer Baierischen Verordnung von 1346 bey dem Schilter. Wer darum keinen Zoll oder kein Ungeld nimmt, in keiner Stadt oder auf keiner Straß, über den soll man richten, als über einen Straßenräuber, Lehmann in der Speyer. Chron. bey dem Frisch, wo es vier Mahl für einig stehet. Es ist schwer zu bestimmen, woher dieses k gekommen, ob es aus je entstanden, für je ein, oder ob es der bloße hauchende Vorschlag einiger Oberdeutschen Mundarten ist. So viel ist gewiß, daß es in den Schriften der mittlern Zeiten oft große Zweydeutigkeiten macht, und der Zusammenhang es entscheiden muß, ob hier das Fürwort ein, einig, oder das folgende verneinende kein zu verstehen ist. Sehr oft setzte man noch ein de oder the voran, welches der Artikel der zu seyn scheinet. The gein vrsach, einige Ursache, Lex Lud. et Lothar. von 840. Thaz steit in Gottes henti, ane theheinig enti, Ottfr. Ob si in deheinen sorgen si, Reinmar der Alte. Swer ir dekeines valsches gicht, ebend. Unser de keiner, in einer Zürchischen Urkunde von 1386 für unser einer. Das Ital. ciascuno, ciascheduno, und Franz. chascun, jetzt chacun, jetzt chacun, haben etwas ähnliches.
Zum Glück ist es in dieser Bedeutung veraltet, obgleich noch ein doppelter Überrest davon übrig ist. 1) Wenn kein nach einem Comparativo stehet; welcher Gebrauch in der anständigen Schreibart verschwunden ist, aber doch noch im gemeinen Leben häufig vorkommt. Größer als kein Mensch, als ein Mensch, als irgend ein Mensch. Schärfer denn kein zweyschneidig Schwert, Ebr. 4, 12. 2) Wenn es mit Verneinungen verbunden wird. Ich habe nie keinen geduldet. Habt ihr auch je Mangel gehabt? Sie sprachen nie keinen, Luc. 22, 35.
Kein Ort gefiel mir besser nicht,
Opitz.
Es ist in ihm kein Geist mehr nicht,
Opitz.
Da noch kein Geld nicht war, da war die güldne Zeit,
Opitz.
Keine andere Gefälligkeit habe ich ihm nicht erzeigt, Gell. (Die Stimme,) die sonst keine Geschöpfe nicht hörten, Klopst. In der reinen Schreibart bleibt diese Verbindung alle Mahl ein Fehler, weil kein für ein nunmehr veraltet ist; indessen erhellet doch aus allem zusammen genommen, daß diese Art zu reden nicht eigentlich eine doppelte Verneinung ist, wie alle Sprachlehrer behaupten.
2. Als der Gegensatz des Zahlwortes, des Beywortes, des Artikels und des Fürwortes ein, für nicht ein, wo es so wohl in Verbindung mit dem Hauptworte, als ohne dasselbe gebraucht, und in beyden Fällen gerade so wie ein abgeändert wird, nur daß es nie einen Artikel vor sich leidet. Es stehet aber,
1) Für nicht Ein so fern das letztere das Zahlwort Ein ist. Es ist kein Mann geblieben, auch nicht Einer. Wir haben keinen eingebüßet. Rede mir kein Wort weiter. Es ist keiner davon gekommen. Ist denn gar keiner da? Kein Mahl, besser niemahls. Keiner von beyden, im Oberd. keinetweder. Wo denn, wenn in dem folgenden Kommate eine Verneinung folgt, eine Bejahung daraus wird. Es war kein Haus, worin nicht Ein Todter war, welches stärker versichert, als wenn es nur hieße, in jedem Hause war Ein Todter. Da war keiner, der sich nicht geschämet hätte.
Wenn eine Verwechselung mit dem folgenden unbestimmtern kein zu befürchten ist, oder wenn man den Nachdruck erhöhen will, so setzt man noch das einzig hinzu, oder löset auch das kein in nicht Ein wieder auf. Es ist kein einziger, der es nicht wüßte, oder, es ist auch nicht Einer u.s.f. Es ist kein einziger geblieben. Da ist keiner, der Gutes thue, auch nicht Einer, Ps. 14, 4. Es ist nicht Einer davon gekommen.
Wenn das Hauptwort das Geschlecht oder die Art ausdruckt, von welcher das kein gesagt wird, so geschiehet solches theils vermittelst der Vorwörter von und aus, theils aber auch, besonders in der höhern Schreibart, vermittelst der zweyten Endung. Keiner von uns. Keiner aus unserer Familie. Keiner aus der Gesellschaft. Keiner der Unsrigen. Keiner der hiesigen Einwohner. Wo nach dem Muster der Oberdeutschen auch der Genitiv voran stehen kann. Unser keiner ist da gewesen, für keiner von uns. Er achtet deren keines, für keines derselben. Besonders in der höhern Schreibart. Wenn ich ihnen jemahls das vergebe, so werde mir meiner Sünden keine vergeben, Less. Die Natur der Sache bringt es schon mit sich, daß kein hier so wenig einen Plural haben könne, als ein.
2) So fern ein das Beywort ist, welches dem ander entgegen stehet, und auch gebraucht wird, wenn mehr als zwey Dinge angeführet werden. Kein Mensch trauet dem andern. Keiner liebet den andern. Es waren ihrer drey, aber es gefiel mir keiner davon. Keiner Partey zugethan seyn. Auch hier findet der Plural nicht Statt.
3) So fern ein der unbestimmte Artikel ist, wo dieses Beywort, wenn es eigentlichen Hauptwörtern zugesellet wird, die Stelle des einfachen verneinenden nicht vertritt. Er hat noch keine Frau, d.i. er hat noch nicht eine Frau. Der Überwinder einer Welt ist kein so großer Mann, als der unschuldig Leidende, Dusch, ist nicht ein so großer Mann. Ich leide kein Laster an dir. Du und kein andrer. Auch in weiterer Bedeutung vor Individuis, wenn nicht so wohl ihre individuelle Art, als vielmehr ihre Eigenschaft bezeichnet werden soll. Das ist eben kein schönes Haus. Das war kein feiner Gedanke.
Ingleichen ohne Hauptwort. Gib mir ein Buch! – Ich habe keines. Rufe mir einen Bedienten. Antw. es ist keiner da. Man hält ihn für einen Gelehrten, ob er gleich keiner ist.
Indessen erstrecket sich der Gebrauch des kein hier viel weiter, als des ein, indem man im Gegensatze nicht alle Mahl ein brauchen kann, wo doch kein Statt findet; indem dieses Beywort auch dem Fürworte einig entgegen gesetzet wird, so wohl wenn dasselbe im Singular ein oder das andere unbestimmte Ding, als auch im Plural mehrere Dinge Einer Art sehr unbestimmt andeutet. Es hat alsdann überall Statt, wo ein eigentliches Hauptwort mit der Verneinung stehen sollte. Gar kein Mitleiden mit jemand haben. Ich habe kein Geld. Es hat keine Gefahr, keine Noth mit ihm. Keine Schuld haben. Ich esse keinen Käse, trinke keinen Wein. Es hilft kein Sagen. Es würde ihn kein Cicero überreden können. Keines Weges, auf keine Art, im Oberd. keiner Dings.
Daher es in dieser Bedeutung auch ohne Bedenken im Plural gebraucht werden kann. Es sind keine Blätter mehr an den Bäumen. Wir sind ja auch keine Thoren. Was habt ihr noch für Güter? – Keine.
Es ist bereits gesagt worden, daß kein anstatt des nicht nur vor eigentlichen Hauptwörtern gebraucht werden könne. Vor Nebenwörtern, oder Beywörtern, selbst wenn sie als Hauptwörter stehen, macht es einen Übelklang. Fehlerhaft sind also folgende R.A. Menschen Hülfe ist kein nütz, Ps. 60, 13, für nichts nütze. Deine Rede ist kein nütz, Hiob 15, 3. Die Gottlosen sind kein nütze, Weish. 4, 3. Das thut in die Länge kein gut, für nicht gut. Es ist kein Gutes an ihm, für nichts Gutes. Auch vor Zahlwörtern ist es fehlerhaft. Es ist noch keine sechs Uhr, noch nicht sechs Uhr. Es waren keine zehn Mann, es waren nicht, oder noch nicht zehn Mann.
4) Oft stehet es so wie einer ohne Hauptwort, und ohne unmittelbare Beziehung auf ein vorher gegangenes Hauptwort, für niemand, ob es gleich die Ausschließung noch etwas genauer zu bestimmen scheinet, als dieses Wort. Es hat alsdann die völlige Gestalt eines Pronominis, und ist im männlichen Geschlechte am üblichsten, wenn es sich gleich auch auf Personen weiblichen Geschlechtes beziehet. Das weiß keiner, kein Mensch. Sag es keinem. Das hat noch keiner vor mir gethan. Ist keiner unter euch, der es gehöret hätte? Ingleichen mit den Vorwörtern von und aus. Es war keiner aus unserer Familie. Es hat ihn keiner von uns gesehen. Unter keines Bothmäßigkeit stehen. Auch mit der zweyten Endung. Er ist keiner der stärksten. Welcher in der höhern Schreibart auch voran stehen kann. Er ist der stärksten keiner. Er weicht der Unsterblichen keinem.
Im gemeinen Leben gebraucht man dafür auch das sächliche Geschlecht. Es ist keines zu Hause.
Anm. Dieses verneinende kein ist aus nicht ein, oder nach der ältern Oberdeutschen Art, nie chein, nie kein entstanden. Es lautet daher noch bey dem Kero noh hein, nihein, in dem alten Lege Lud. et Loth. von 840 neiein, bey dem Willeram ne chein, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno nichein, bey dem Ottfried nich ein und niheinig, und mit dem voran gesetzten de bey den Schwäbischen Dichtern ni dekein. Indessen ließ man schon sehr frühe die Negation weg. So gebraucht Ottfried thiheinigemo, für keinem, Willeram decheina, für keine, und Stryker dehainer, für keiner, dhain bey dem Hornegk und ghein bey den ältern Schweizern, welches das oben erwähnte dechein, ein, einig, ist. Bey andern scheinet die Negation in en übergegangen zu seyn, wie in dem enhein und enkein der Schwäbischen Dichter, bey welchen aber auch schon chein und kein in dem heutigen Verstande vorkommt. Die heutigen Niedersachsen sagen zwar auch keen; allein sie gebrauchen auch noch neen, men, Engl. none, welches gleichfalls aus nie ein oder nicht ein zusammen gezogen ist, so wie das Latein. nullus aus non ullus.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.