- Leihen
Leihen, verb. irreg. act. Imperf. ich liehe, Mittelw. geliehen Imper. leihe; welches in zwey dem Anscheine nach einander entgegen gesetzten Bedeutungen vorkommt.
1. Des Gebens. 1) * Geben überhaupt, und im engern Verstande schenken; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche sich nur noch in dem zusammen gesetzten verleihen erhalten hat. Leh ihn lib, daß er ihnen das Leben schenkte, Ottfried. Das Isländ. lia bedeutet gleichfalls schenken, geben. 2) In engerer Bedeutung, den Gebrauch ober Nießbrauch einer Sache auf einige Zeit verstatten; wo es von beweglichen Dingen am häufigsten, von unbeweglichen Dingen aber wohl nur allein gebraucht wird, wenn man einem andern den Gebrauch umsonst und unentgeldlich verstattet. Einem sein Haus, seinen Garten, seinen Acker auf acht Tage leihen. Leihe mir dein Pferd, das Buch. Einem Korn, Holz u.s.f. leihen. Lieber Freund leihe mir drey Brote, Luc. 11, 5. Von dem Gelde kann dieses Zeitwort in allen Fällen gebraucht werden, man mag den Gebrauch desselben umsonst oder gegen eine Vergeltung verstatten. Geld auf Pfänder leihen. Einem Geld ohne Zinsen leihen. Sein Vermögen auf Grundstücke leihen. Wenn du Geld leihest meinem Volke, sollt du keinen Wucher auf ihn treiben, 2 Mos. 22, 25. Wohl dem, der gerne leihet, Ps. 112, 5. Er wird dir leihen, du aber wirst ihm nicht leihen, 5 Mos. 28, 44. Von andern beweglichen und unbeweglichen Dingen, sind, wenn der Nießbrauch vergütet wird, auch die Zeitwörter vermiethen und verpachten üblich. 3) In noch engerer Bedeutung, zu Lehen geben, die Lehen über etwas ertheilen, belehnen; eine nur noch zuweilen bey den Schriftstellern des Lehenrechtes übliche Bedeutung. Das si lihe mir ze lehen, Burckh. von Hohenfels. So man im daz gut lihet, Schwabenspiegel.
2. Des Nehmens, wo es nur in der vorigen zweyten engern Bedeutung vorkommt, als ein Darlehen bekommen, empfangen. Geld von einem leihen. Das Buch ist nicht mein, ich habe es nur geliehen. Ein geliehenes Pferd, ein entlehntes.
Das Hauptwort die Leihung ist nur in den Zusammensetzungen üblich.
Anm. In der zweyten Bedeutung des Gebens ist dieses Wort vorzüglich im Oberdeutschen und in der anständigen Schreibart der Hochdeutschen für das gemeinere lehnen üblich; in der Bedeutung des Nehmens aber kommt es wohl nur am häufigsten im gemeinen Leben für lehnen oder entlehnen vor. Indessen ist doch dieser Unterschied nur erst in den neuern Zeiten aufgekommen; denn in den vorigen wurden lehnen und leihen, so wie borgen, so wohl von dem Geben, als von dem Nehmen gebraucht. Der Grund scheinet in der Abstammung zu liegen. Denn leihen, bey dem Kero und Ottfried lihen, in härtern Mundarten, lichen, liegen, (wohin auch das Lat. locare gehöret,) stammet allem Ansehen nach von dem Wallis. Lla, Llaw, die Hand, her, wohin auch unser liefern, so wie das Hebr. לוה (lavah) leihen und entlehnen, gehören. In dem leihvan, leihen, des Ulphilas, hat sich das v noch erhalten. Das Geben geschiehet so wohl mit der Hand, als das Nehmen. Vermittelst der Ableitungssylbe -nen, ist aus leihen, lehen, lehenen, lehnen gebildet worden, S. dieses Wort.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.