Lesen (1)

Lesen (1)

1. Lêsen, verb. irreg. act. ich lese, (Oberd. ich lies,) du liesest, er lieset, wir lesen u.s.f. Imperf. ich las; Mittelw. gelesen; Imperat. lies, (Oberd. lese). Es bedeutet überhaupt, von mehrern Dingen Einer Art eines nach dem andern wegnehmen, oder aufheben; wo es doch nur noch in einigen Fällen üblich ist. Auf dem Acker Ähren lesen, zusammen lesen, auflesen. Holz lesen, auflesen. Wein lesen, die reifen Weintrauben nach einander abbrechen, S. Weinlese. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen, oder Feigen von den Disteln? Matth. 7, 16. Die Steine von dem Acker lesen. Das Unreine aus den Erbsen, Linsen u.s.f. lesen. In vielen Fällen ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich geworden. Da ging einer aufs Feld, daß er Kraut läse, 2 Kön. 4, 39, suchte, hohlte. Erdbeeren, Heidelbeeren lesen, im Oberd. wofür man im Hochdeutschen lieber pflücken sagt. So auch,


So lise ich bluomen do rife nu lier,

Walth. von der Vogelweide,


für pflücken. Ingleichen figürlich, auf solche Art reinigen, leer machen. Den Weinberg lesen, die Trauben in demselben. Wenn du deinen Weinberg gelesen hast, 5 Mos. 24, 21. Den Acker lesen, die Steine von demselben ablesen. Den Salat lesen, die verdorbenen Blätter aufsuchen und wegnehmen. Erbsen, Linsen, Reiß, Hirse u.s.f. lesen, das Unreine einzeln hinweg nehmen. Wolle lesen. Im Nieders. verlesen. Bey den Webern werden die Fäden gelesen, wenn die Fäden des Aufzuges aus einander gelesen und in Ordnung gebracht werden.

Das Hauptwort die Lesung wird nur in einigen Zusammensetzungen gebraucht, in welchen lesen zugleich von einem weitern Umfange der Bedeutung ist, als jetzt das einfache Zeitwort hat. Anm. Schon bey dem Kero lesan, im Nieders. lesen, im Engl. to lease, im Schwed. läsa, im Angels. lesan, im Lat. legere, colligere, im Griech. λεγειν. Merkwürdig ist es allerdings, daß dieses Zeitwort mit dem folgenden nicht nur in der Conjugation überein kommt, sondern auch in allen Europäischen Sprachen mit demselben gleichlautend ist. Indessen ist doch bey dem sehr einfachen Gange der menschlichen Begriffe, besonders in denjenigen Zeiten, in welche der Ursprung der Wörter fällt, kein scheinbarer Grund vorhanden, sie beyde von Einem Stamme herzuleiten. Denn daß einige das folgende lesen so erklären, als wenn es eigentlich die Buchstaben, Sylben und Wörter zusammen lesen oder sammeln bedeute, ist mehr ein witziger Einfall, als eine der Analogie der Sprache gemäße Ableitung. Vielleicht stammet das gegenwärtige Zeitwort von los, lösen ab, (in einigen Oberdeutschen Gegenden wird es wirklich lösen gesprochen;) alsdann wäre dessen Verwandtschaft mit verlieren, welches im Nieders. ehedem nur lesen lautete, Engl. to leese, lose, loose, Angels. losgan, leosan, bey dem Ulphilas liusan, sehr leicht begreiflich. S. Verlieren.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Lesen — Lesen …   Deutsch Wörterbuch

  • lesen — lesen: Das gemeingerm. Verb mhd. lesen, ahd. lesan, got. lisan, aengl. lesan, schwed. läsa geht mit verwandten Wörtern auf eine Wurzel *les »verstreut Umherliegendes aufnehmen und zusammentragen, sammeln« zurück, vgl. z. B. die balt. Sippe von… …   Das Herkunftswörterbuch

  • lesen — Vst. std. (8. Jh.), mhd. lesen, ahd. lesan, lesen, as. lesan Stammwort. Aus g. * les a Vst. auflesen, sammeln , auch in gt. lisan, anord. lesa, ae. lesan, afr. lesa. In dieser Ausgangsbedeutung läßt sich das Wort vergleichen mit lit. lèsti picken …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • lesen — V. (Grundstufe) das Geschriebene ansehen und seinen Sinn verstehen Beispiel: Das Kind kann noch nicht lesen. Kollokation: ein Buch lesen lesen V. (Aufbaustufe) Früchte o. Ä. von etw. abnehmen und einsammeln Beispiele: Sie gingen in den Wald, um… …   Extremes Deutsch

  • Lesen — Lesen, ein Buch lesen für mich ist das das Erforschen eines Universums. «Marguerite Duras [* 1914]; franz. Schriftstellerin» Ich lösche das Licht selten aus, ohne vorher gelesen zu haben. Indem man das Geistige zwischen das Sinnliche des Tages… …   Zitate - Herkunft und Themen

  • lesen — ¹lesen 1. a) auslesen, durcharbeiten, durchgehen, durchlesen, durchsehen, Einblick nehmen, einsehen, entziffern, erfassen, schmökern, überfliegen. b) ablesen, aufsagen, deklamieren, rezitieren, verlesen, vorlesen, vorsprechen, vortragen,… …   Das Wörterbuch der Synonyme

  • lesen — lesen, liest, las, hat gelesen 1. Ich habe gelesen, dass es ab heute Sonderangebote gibt. 2. Deine Schrift kann ich nicht gut lesen. 3. In der Schule lesen wir ein Buch von Goethe …   Deutsch-Test für Zuwanderer

  • Lesen — (nach dem lat. legere; beides eigentlich soviel wie sammeln), die Kunst, aus sichtbaren Zeichen der Sprachlaute (Buchstaben) diese selbst und dadurch die von andern in Schrift oder Druck niedergelegten Gedanken zu erkennen. Dem entsprechend ist… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Lesen — Lesen, Buchstaben zu Wörtern und Sätzen zusammenfassen, wurde bis ins 19. Jahrh. durch die Buchstabiermethode gelehrt, obwohl schon Ickelsamer (1530) die Lautiermethode forderte, die dann nach vielfachen Versuchen von Campe, Olivier, Krug u.a.… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • lesen — [Basiswortschatz (Rating 1 1500)] Auch: • vorlesen Bsp.: • Der Junge konnte nicht lesen. • Warum setzt du dich nicht dort drüben hin und liest ein Buch? , sagen sie. • Abends lese ich oft …   Deutsch Wörterbuch

  • Lesen — Lesen, die sichtbaren Zeichen der Sprachlaute in die entsprechenden hörbaren Laute übertragen. Der Unterricht im L. geht vom Einfachsten, dem Buchstabenlesen, aus u. schreitet zu dem Sylben , Wort u. Satzlesen fort u. bezweckt vollkommene… …   Pierer's Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”