- Über
Über, eine der ältesten Partikeln in der Sprache, welche überhaupt den Umstand der Höhe, in Beziehung auf ein darunter befindliches Ding ausdruckt. Es ist in doppelter Gestalt üblich.
I. Als ein Nebenwort, wo es doch in den meisten Fällen eine Ellipse des folgenden Vorwortes ist. 1. Auf der Oberfläche eines Dinges hin und jenseit derselben, wo es für sich allein nur in einigen sprichwörtlichen R.A. üblich ist. Es gehet alles bunt über, es gehet alles verworren, unordentlich zu; wo es nicht als die Präposition zu gehen gehöret, sondern für sich allein adverbisch steht. In andern Fällen hingegen, z.B. das Glas läuft über, ist es nicht das Adverbium, sondern die trennbare Präposition von überlaufen. Hierher gehöret auch das im gemeinen Leben übliche über und über, eine Intension des einfachen über zu bezeichnen, selbst, wenn es zu dem Zeitworte gehöret. Das Glas läuft über und über, läuft gar sehr über. Es ist über und über voll, völlig voll, auf der ganzen Oberfläche voll. Über und über naß, über den ganzen Leib, über die ganze Oberfläche. 2. Ehedem wurde es auch nicht selten für das zusammen gesetzte vorüber, vorbey, gebraucht, auf welche Art schon Willeram uvre gebraucht.
Ja, wär der Thränen erster Ausbruch über,
Schleg.
Wo es doch nur um des Sylbenmaßes willen gebraucht zu seyn scheinet, indem es sonst für die anständige Schreib- und Sprechart zu niedrig seyn würde. Im gemeinen Leben sagt man nur noch, es ist über, für vorüber, vorbey.
II. Als ein Vorwort, welches wiederum entweder für sich allein mit seinem Nennworte, oder auch in der Zusammensetzung mit andern Wörtern vorkommt.
1. Für sich allein mit seinem Nennworte, wo es bald die dritte, bald aber auch die vierte Endung erfordert. Es ist in der Deutschen Sprache nicht leicht ein Vorwort, welches in Ansehung der Endung, die es erfordert, so unbestimmt wäre, oder vielmehr, wo in der Anwendung so häufig gefehlet würde, als eben dieses. Die Sprachlehren, deren Pflicht es eigentlich ist, diejenigen Fälle genau zu bestimmen, wo über diese und keine andere Endung erfordert, gehen, wie in den meisten schweren Fällen, sehr leicht über die Sache weg, und fertigen uns mit der kurzen nichts bedeutenden, nichts sagenden und so oft trüglichen Regel ab, über nehme auf die Frage wohin, den Accusativ, und auf die Frage worin, den Dativ, zu sich. Man urtheile aus dem folgenden, ob diese aus den Lateinischen Grammatiken erborgte Regel verdiene, ferner noch einen Augenblick in einer vernünftigen Sprachlehre zu stehen. Ich werde mich bemühen, die Fälle, in welchen es die dritte oder vierte Endung erfordert, so genau als möglich zu bestimmen, will aber nur noch überhaupt bemerken, daß dieses Vorwort eigentlich und ursprünglich den Zustand eines in der Höhe befindlichen Dinges, in Beziehung auf ein darunter befindliches, andeute, von welcher eigentlichen Bedeutung all übrige Figuren sind. Es erfordert aber dieses Vorwort,
1) die dritte Endung oder den Dativ. Es bezeichnet alsdann
(a) Einen Stand der Ruhe in der Höhe, in Beziehung auf ein darunter befindliches Ding, im Gegensatze des unter; wodurch es sich von auf unterscheidet, welches, so weit es hierher gehöret, den Stand der Ruhe auf der Oberfläche eines Dinges ausdruckt. Es liegt über der Thür. So weit der Himmel über der Erde erhaben ist. Wasser stehet über den Bergen, Ps. 104, 6. Der Zorn Gottes bleibt über ihm, Joh. 3, 36. Das Licht scheint nicht mehr oben über ihnen, Es. 5, 30. Er wohnt über mir. Es stehet ein Gewitter über der Stadt. Indessen gibt es auch einige Fälle, wo über in dieser Bedeutung mit der vierten Endung gebraucht wird; z.B. er steckt in Schulden bis über die Ohren, wo der Accusativ schon so allgemein ist, daß man diese, und vielleicht noch einige andere ähnliche Redensarten, mehr für Ausnahmen von der Regel, als für Sprachfehler, halten muß. Wenn es aber Marc. 15, 26 und Luc. 23, 38 heißt, oben über ihn war geschrieben, so ist solches ein Fehler für über ihm. Eben so, Esra ragete über alles Volk, Nehem. 8, 5; für, ragete über allem Volke hervor. Wenn aber in ragen oder hervor ragen die Bewegung zur Erhöhung hervor sticht, so läßt sich auch der Accusativ rechtfertigen, S. im Folgenden. Wenn aber über in dieser Bedeutung figürlich einen Vorzug bezeichnet, so wird es durchgängig mit der vierten Endung gebraucht, S. im Folgenden.
(b) Eine Bewegung oder Handlung im Stande der Ruhe, in Beziehung auf ein darunter befindliches Ding; im Gegensatze des unter. Jacob richtete ein Mahl auf über ihrem Grabe, 1 Mos. 35, 20. Der Himmel that sich auf über ihm. Matth. 3, 16. Der Herr wird über ihnen erscheinen, Zach. 9, 14. Das Wasser schlägt ihm über dem Kopfe zusammen, Ps. 69, 17. Es schwebt ein Unglück über deinem Haupte, über der Stadt. Das Öhl schwimmt über dem Wasser. Das Haus brannte ihm über dem Kopfe weg. Die Schafe empfingen über den Stäben, 1 Mos. 30, 39. Die ihr euch über mir wölbt, schlanke Äste, Geßn. Über setzt in dieser Bedeutung voraus, daß das in der Bewegung oder Handlung begriffene Ding, die Gränzen des darunter befindlichen, nicht überschreite. Da dieser Umstand zuweilen unbestimmt ist, oder doch nicht so genau bestimmt werden soll, oder auch der Begriff der Bewegung des Zeitwortes am meisten hervor sticht, so gibt es Fälle, wo das Vorwort sowohl mit der dritten, als mit der vierten Endung verbunden wird. Daher fahren, wie Flammen über den Stoppeln, Weish. 3, 7; wo auch der Accusativ stehen könnte, wenn die Flamme entweder über die Stoppeln hinaus fahren, oder auf sie zu fahren, in welchen Fällen über zu zwey der folgenden Bedeutungen gehören würde. So auch: über welchem du sehen wirst den Geist herab fahren, Joh. 1, 33. Die Hände über dem Kopfe zusammen schlagen, Jer. 2, 37; und, sie über den Kopf zusammen schlagen. Die Sonne soll über den Propheten untergehen, Mich. 3, 6. Über dir gehet auf der Herr, Es. 60, 2. 3. Ich fühle zu sehr, daß die Sonne nie wieder über mir aufgehen wird, Dusch. Mehr als einzelne Tage werden über mein Grab und deinen Kummer aufgehen, ebend. Wo die Veränderung des Casus eine Folge des veränderten Nebenbegriffes ist.
(c) Den Gegenstand einer Beschäftigung, doch nur im Stande der Ruhe, denn, so bald das Zeitwort einige thätige Bewegung oder Handlung bezeichnet, so wird die vierte Endung erfordert; eine Figur der ersten Bedeutung. Fleißig über der Arbeit seyn. Über der Arbeit begriffen seyn, in der Arbeit. Ich war eben über dem Schreiben, als er kam, war eben im Schreiben begriffen. Immer über den Büchern sitzen, liegen. Lange Zeit über etwas zubringen. Du bist über wenigem getreu gewesen, Matth. 25, 21; welche R.A. elliptisch ist. Wenn aber das Zeitwort ursprünglich eine Bewegung bedeutet, so steht die vierte Endung; z.B. über viele gesetzt seyn. In der Deutschen Bibel kommen mehrere hierher gehörige R.A. vor, welche aber theils ungewöhnliche und harte Ellipsen enthalten, theils an sich ungewöhnlich sind, und daher nicht nachgeahmet werden dürfen. Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir, Ps. 91, 4. Über einer Sache Gedanken haben, Dan. 4, 2; wo richtiger der Accusativ stehet, weil Gedanken haben, doch so viel ist, als das thätige denken. Über ihnen wird die Weißagung erfüllet, Matth. 13, 14. (d) Die Zeit der Beschäftigung mit einer Sache, doch nur so fern angedeutet werden soll, daß etwas geschehen, indem man mit einer gewissen Sache beschäftiget gewesen; wofür auch während, bey und unter üblich sind. Wenn aber über die volle Zeitdauer eines Dinges bezeichnet, so erfordert es die vierte Endung. Es kam sie hart an über der Geburt, 1 Mos. 35, 17. Lasset die Sonne nicht über euren Zorn untergehen, Eph. 4, 26; während eures Zornes. Mit einem andern Nebenbegriffe findet auch die vierte Endung statt, S. die vorige zweyte Bedeutung. Über der Mahlzeit trinken. Über dem Lesen, dem Gebeth, der Arbeit einschlafen. Der Faule stirbt über seinen Wünschen, Sprichw. 21, 25. Über dem Bethen gab er seinen Geist auf. Über der Tafel ging nichts merkwürdiges vor, Gell. Über Tische. Ungewöhnlich hingegen sind: Du sollst dich nicht schlafen legen über seinem Pfande, 5 Mos. 24, 12; so lange du sein Pfand bey dir hast. Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden über dem Kämpfen, Hebr. 12, 4; in dem Kämpfen. Gott beschert es wohl über Nacht, in der Nacht.
(e) Besonders, wenn der Gegenstand der Beschäftigung sowohl die Zeit einer Veränderung, als auch die Veranlassung, die wirkende Ursache derselben ist. Sie vergessen meines Nahmens über ihren Träumen, Jer. 23, 27; während der Beschäftigung mit ihren Träumen und um derselben willen. Sich über dem Heben etwas verrenken. Über einer langen Rede (von langen Reden) heiser werden. Unsere Kleider sind alt worden über dieser langen Reise, Jos. 9, 13. Sich über einer Sache aufhalten, bey derselben und um derselben willen, so ganz etwas anders ist, als sich über eine Sache aufhalten. Über einem Lärm erwachen. Über dem Lesen Essen und Trinken vergessen. Es wird mir sehr leicht seyn, über ihrem Herzen das Glück zu vergessen, Gell. So lächerlich sie über dieser Bemühung wird, ebend. Es läßt sich daher diese Wortfügung, dem heutigen Sprachgebrauche nach, nicht anwenden, wenn nicht die wirkende oder veranlassende Ursache zugleich der Gegenstand der Beschäftigung ist. Ehedem gebrauchte man es sehr häufig mit der dritten Endung, sowohl eine Ursache zu bezeichnen, warum etwas geschiehet, als auch einen bloßen Gegenstand; in welchen Fällen doch entweder wegen, oder über mit der vierten Endung stehen muß. So kömmst du nicht in Angst und Noth über (wegen) seiner Thorheit, Sir. 22, 16. Über solchen Reden entstund ein Lärm, wegen solcher Reden, oder über solche Reden. Moses flohe über dieser Rede, wegen, Apost. 7, 29. Über einer Wohlthat gerichtet werden, Kap. 4, 9; wegen. Willst du dich über diesem (über dieses, hierüber,) von mir richten lassen? Apost. 25, 9. Wenn ihr über zeitlichen Gütern (über zeitliche Güter) Sachen (Prozesse) habt, 1 Kor. 6, 4. Und tausend andere Beyspiele mehr, wovon noch im folgenden einige vorkommen werden.
(f) Jenseit, einen Zustand oder eine Handlung zu bezeichnen, welche auf jener Seite ist und geschiehet. Über dem Flusse wohnen, jenseit desselben. Die Stadt liegt über dem Strome. Über der Gränze wächst kein Wein. Er ist schon über der Gränze. Dahin gehöret auch das gegen über, wo der Dativ von diesem Vorworte herrühret. Er stand gegen mir über. Die Stadt liegt gegen dem Berge über. S. Gegen. So bald aber die geringste Bewegung längs der Oberfläche mit eintritt, ist die vierte Endung nöthig. Ich bin noch nicht über den Fluß, wir sind noch nicht über alle Berge; wo wirklich eine noch dauernde Bewegung voraus gesetzt wird.
2) Wenn dieses Vorwort aber die vierte Endung oder den Accusativ erfordert, so hat es folgende Bedeutungen.
(a) Eine Bewegung zur Erhöhung, in Rücksicht eines darunter befindlichen Dinges; im Gegensatze des unter. Etwas über die Thür legen. Das Untere über sich kehren. Die Hände über den Kopf zusammen schlagen. Er setzte seinen Stuhl über die Stühle der Könige, 2 Kön. 25, 28. Er erhöhet mein Haupt über meine Feinde, Ps. 27, 6. Meine Sünden gehen über mein Haupt, Ps. 38, 5. Funfzehn Ellen hoch ging das Wasser über die höchsten Berge, 1 Mos. 7, 2. Er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten, Matth. 5, 45. S. die zweyte Bedeutung des Dativs. Über einander herfallen. Über Hals und Kopf. Über den Haufen werfen, fallen, stoßen. Sich über andere wegsetzen. Er glaubt, daß sein Adel ihn über diese Pflicht wegsetze. Bis daß der hohe Sinn dich über Berge trägt, Opitz. Unrichtig ist es daher allemahl, wenn in dieser Bedeutung die dritte Endung gebraucht wird. Sich über den Völkern erheben, Weish. 6, 3.
(b) Eine Bewegung oder Handlung in der Höhe, in Rücksicht auf ein darunter befindliches Ding, so daß sich die Handlung längs der Oberfläche dieses Dinges erstrecket, und das handelnde Ding nicht im Stande der Ruhe angesehen werden kann. Du sollst eine Decke machen über die Wohnung, 2 Mos. 26, 7. Jesus hub seine Augen auf über seine Jünger, Luc. 6, 20. Über das Haus David will ich ausgießen meinen Geist, Zach. 12, 10. Die Hand über jemanden ausstrecken, Sir. 50, 22. Der Wind bläset über die Erde, über das Meer. Sich über etwas ausbreiten. Eine Finsterniß über das ganze Land, Luc. 23, 44. Streue Kohlen über die Stadt, Ezech. 10, 2. Jemanden über die Achseln ansehen. Einen Schleyer über den Kopf hängen. Über die Berge klettern, laufen. Über alle Berge seyn. Wir sind noch nicht über den Berg; wo ein Zeitwort der Bewegung darunter verstanden wird. Den Segen über etwas sprechen. Achtzig Jahre waren schon über sein Haupt hingeflogen, Geßn. Über Stock und Stein springen. Den Stab über jemanden brechen. Eine Stürze über einen Topf. Der Herr streuete die Wachteln über das Lager, 4 Mos. 11, 31. Noch ein wenig zweifelhaft sind die Fälle, wenn über jemanden sitzen oder gehen, so viel bedeutet, als ihm zur rechten Hand; indem der Gebrauch hier getheilt ist, obgleich die Regel die dritte Endung erforderte, weil hier ein Stand der Ruhe ist. Er saß über mir.
Ich empfinde fast ein Grauen,
Daß ich, Plato, für und für,
Bin gesessen über dir,
Opitz.
Indessen ist im Hochdeutschen der Accusativ am gewöhnlichsten; vielleicht weil es eigentlich ein Bestreben zur Höhe bedeutet, daher über, wenn es einen Vorzug bedeutet, allemahl die vierte Endung erfordert, S. die folgende Bedeutung. Nicht, daß ein Bauer sollte über einen Fürsten sitzen, Luth. Der Meinige geht, als ein Rechnungsführer, doch allezeit über den ihrigen, Gell.
(c) Oft tritt noch der Nebenbegriff mit ein, daß sich die Bewegung oder Handlung bis jenseit der Gränzen des darunter befindlichen Dinges erstrecke, da denn der Begriff der Höhe oft verschwindet, und über nur andeutet, daß sich die Bewegung nicht nur längs der obern Fläche eines Körpers hin, sondern auch bis auf die andere Seite desselben erstrecke. Über den Fluß gehen, fahren, schiffen, über denselben der Breite nach, bis auf das andere Ufer. Laß dein Brot über das Wasser fahren, Pred. 11, 1. Über den Markt gehen, reiten, fahren. Es lief ein Hase über den Weg. Über das Ziel schreiten. Über die Schnur hauen. Über einen Graben setzen. Über die Gasse laufen. Über einen Stock, einen Graben, einen Stein springen. Über die Klinge springen lassen. Über einen Stein fallen. Über eine Brücke gehen, reiten, fahren. Über die Schwelle treten. Über Land gehen, reisen, reiten, fahren, und über Feld gehen, reiten, fahren, wo der Artikel nicht gewöhnlich ist. Siehe Land und Feld.
Die Künste nehmen Dädals Federn
Und kommen über Meer und Land,
Mit Hebezeug und Rädern
In ihrer harten Hand,
Raml.
Über die Gränze entweichen. Etwas nicht über das Herz bringen können. Wo der Accusativ bleibt, wenn gleich das Zeitwort einen Stand der Ruhe zu bezeichnen scheinet, weil entweder eine wirklich noch fortdauernde Bestrebung Statt findet, oder solche doch als eben jetzt erst vergangen gedacht wird. Wir sind noch nicht über den Fluß. Über diese Pedanterey ist er lange hinaus oder hinweg. Sie sind über ihre funfzig Jahre hinaus. Bey den eigenthümlichen Nahmen der Städte, Flecken, Dörfer und Inseln, wenn angedeutet werden soll, daß sich die Bewegung durch einen Ort erstrecke, wird lieber über als durch gebraucht. Über Cassel nach Amsterdam, über Hamburg nach Kopenhagen, über Rom nach Sicilien reisen. Die Reise geht über Hispaniola. Die Nahmen der Länder aber bekommen durch. Durch Frankreich nach Spanien, durch die Schweiz nach Italien reisen.
(d) In der vorigen Bedeutung bezeichnet über eine Bewegung längs der horizontalen Oberfläche, besonders der Breite nach; allein, oft verliert sich auch dieser Begriff, und es bedeutet alsdann überhaupt, daß sich die Bewegung, die Handlung oder auch der Zustand längs der äußern Fläche eines Dinges, und oft bis jenseit derselben erstrecke. Dadurch unterscheidet es sich hinlänglich von auf. Die Haare hangen ihm über die Ohren, flattern über die Schultern. Einen Schleyer über das Gesicht ziehen. Einen Schuh über einen Leisten schlagen. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht. Einem das Fell über die Ohren ziehen. Einen Mantel über sich werfen. Helle Thränen flossen über ihre Wangen herab. Etwas über sich nehmen, im figürlichen Verstande, es auf sich nehmen, sich zu dessen Bewerkstelligung anheischig machen. Wo der Accusativ bleibt, wenn gleich das Zeitwort einen Stand der Ruhe zu bezeichnen scheinet, indem der thätige Begriff der Erstreckung, der hier nicht ausgeschlossen werden kann, die vierte Endung fordert. Über den ganzen Leib wund seyn. Über den ganzen Leib naß, bekleidet seyn. Daher über und über, über die ganze äußere Fläche.
(e) Oft verliert sich auch der Begriff der Erstreckung über die äußere Fläche, und da bezeichnet über figürlich bloß eine Annäherung und Berührung, doch mit einem merklichen Grade des Nachdrucks, als wenn sich das nähernde gleichsam über die ganze Fläche des andern erstreckte, daher auch hier der Accusativ nothwendig bleibet. Es gehet alles über mich. Etwas über sich ergehen lassen. Der Segen kam über mich, Hiob 29, 13. Der heilige Geist wird über dich kommen, Luc. 1, 35. Indessen hat über jemanden kommen jetzt den harten Begriff des Ungestümes bey sich. Wenn ich über dich kommen werde! Laß mich über dich kommen! dich zu züchtigen u.s.f. Über etwas herfallen. Wie bist du darüber gerathen? Er kann über alles, er kann zu allem kommen. Er kann über das Geld. Er darf nicht über das geringste. Es geht so sehr über das Geld, über den Beutel, es wird viel Geld erfordert. Es gehet über uns her, es wird nachtheilig von uns gesprochen. In welchen und ähnlichen R.A. sich doch immer etwas von dem folgenden Begriffe der Gewalt mit einschleicht.
(f) Häufig bezeichnet es auch einen Vorzug, so fern derselbe als eine höhere Stellung in Beziehung auf ein niedriges darunter befindliches Ding angesehen wird; im Gegensatze des unter. Das Vergnügen gehet über den Reichthum. Das gehet bey ihm über alles. Die Furcht Gottes gehet über alles, Sir. 24, 15. Wo auch der Accusativ bleibt, wenn gleich das Zeitwort einen Stand der Ruhe zu bezeichnen scheinet, indem wirklich eine Bestrebung zur Höhe darunter verborgen liegt. Der Jünger ist nicht über seinen Meister, Luc. 6, 40. Er ist noch weit über ihn. Gott ist über alles. In vielen Fällen, wo man es in dieser Bedeutung ehedem gebrauchte, wählt man jetzt lieber andere Ausdrücke dafür. Er war herrlicher gehalten über alle, 1 Mos. 34, 19; als alle. Der Herr hat mich erwählt über alle Völker, 5 Mos. 10, 15; vor allen Völkern; wenn es aber Kap. 7, 14 heißt, gesegnet wirst du seyn über allen Völkern, so ist der Dativ hier unrichtig. Ich liebe dein Gebot über Gold und über sein Gold, Ps. 119, 127; mehr als. Wir sollen Gott über alle Dinge lieben, mehr als. Dein Gott hat dich gesalbet über deine Genossen, Hebr. 1, 9; mehr als. Ein geplagter Mensch über alle Menschen auf Erden, 4 Mos. 12, 3; und so in andern Stellen mehr.
(g) Noch häufiger bezeichnet es einen Gegenstand der Gewalt, Herrschaft, Aufsicht, Aufmerksamkeit und Beobachtung; als eine Figur der vorigen zweyten Bedeutung. Sey ein Herr über deine Brüder, 1 Mos. 27, 29. Ein Herr über alles. Über jemanden herrschen, regieren, tyrannisieren. Den Sieg über seine Feinde erhalten. Über seine Feinde siegen, triumphieren. Die Oberhand über jemanden behalten. Über andere zu gebiethen, zu befehlen haben. Ein Oberster über hundert, ein Aufseher über andere. Die Sorge über etwas auf sich nehmen. Ich will über sie wachen, Jer. 44, 27. Jemanden zum Aufseher, Fürsten, Richter u.s.f. über andere setzen.
Und wenn in dieser Nacht Gott über mich gebeut,
Gell.
(h) Ferner, den Gegenstand einer Gemüthsbewegung und deren Äußerung, so daß der erste zugleich die Veranlassung oder wirkende Ursache der letztern ist. Sich über eine Sache ärgern, freuen, erzürnen, aufhalten, beklagen, beschweren, erbarmen, entsetzen, entrüsten, verwundern, bekümmern, betrüben, kränken, grämen u.s.f. Über eine Sache erschrecken, bestürzt, froh, lustig, böse, mürrisch, traurig, unwillig, ungeduldig u.s.f. seyn oder werden. Über eine Sache murren, klagen, fluchen, zürnen, zanken, seufzen, spotten, scherzen, weinen u.s.f. Machen sie mir keine Vorwürfe darüber. Ich werde noch den Tod über dich kriegen, Gell. In der Deutschen Bibel und bey andern Schriftstellern findet man es in dieser Bedeutung häufig mit der dritten Endung; vermuthlich aus Verwechselung derselben mit der vorigen fünften Bedeutung des Dativs, obgleich beyde merklich genug von einander verschieden sind. Wie der Löwe brüllet über seinem Raube, Es. 31, 4. Sie werden fröhlich seyn über dem, das ich schaffe, Kap. 65, 10. Und werden sich verwundern und sich entsetzen über alle dem Gute, und über alle dem Friede, Jer. 33, 9. Und so in hundert Stellen mehr, worunter sich auch viele befinden, in welchen der Gebrauch des Vorwortes über überhaupt ungewöhnlich und veraltet ist; z.B. Unsere Seele eckelt über dieser losen Speise, 4 Mos. 21, 5; besser vor. Es reuete den Herrn über dem Übel, 2 Sam. 24, 16; es reuete den Herren das Übel u.s.f. Daß in allen solchen Fällen, wo über in dieser Bedeutung gebraucht werden kann, die vierte Endung erfordert wird, erhellet unter andern auch daraus, weil diese Bedeutung, so wie die vorige und folgende, eine Figur der vorigen zweyten ist.
(i) In noch weiterer Bedeutung, einen Gegenstand einer Beschäftigung oder Handlung des Geistes und deren Äußerung, so daß dieser Gegenstand dabey gleichsam zum Grunde liegt, und seinen Theilen nach entwickelt wird; welcher Begriff doch wieder mancherley Stufen hat, die, um nicht zu weitläufig zu werden, hier nicht entwickelt werden können. Über einen Spruch, über eine Wahrheit predigen, welches mit dem Predigen auf etwas und von etwas nicht verwechselt werden darf. Über das Evangelium, die Epistel predigen. Eine Auslegung über ein Buch machen. Sich über etwas besinnen, über etwas nachdenken, seine Gedanken über etwas haben. Ein Urtheil über etwas fällen. Seine Meinung über eine Sache sagen. Jemanden über etwas um Rath fragen. Sich über eine Sache unterreden, berathschlagen, vergleichen. Über den Punct habe ich eigentlich noch nichts beschlossen. Über etwas nachdenken. Ein Buch über eine Materie schreiben. Ich will mich noch über diese Sache bedenken. Über den Vorzug streiten, besser um. Anmerkungen über ein Buch machen. Auch hier wird es häufig mit der dritten Endung verbunden, welches aber um deswillen nicht minder unrichtig ist, als bey der vorigen Bedeutung. Über einer Sache Gedanken haben, Dan. 4, 2. Es erhub sich eine Frage über der Reinigung, Joh. 3, 25. Über dem Evangelio kämpfen, Phil. 4, 3; besser wegen des, oder für das. Indem aber Petrus sich besinnet über dem Gesichte, Apost. 10, 19. Ich besprach mich mit ihnen über dem Evangelio, Gal. 2, 2. Sich ein Gewissen machen über bestimmten Feyertagen, Col. 2, 16. Und so in vielen andern Stellen mehr.
(k) Eine größere Ausdehnung des Raumes in Beziehung auf einen andern kleinern Raum, und nach noch weiterer Figur, auch eine größere Zahl, ein größeres Maß, Gewicht, eine Übertreffung an Kraft, Vermögen, Fähigkeit u.s.f. als eine Figur der vorigen ersten sowohl als dritten Bedeutung, woraus zugleich die Nothwendigkeit des Accusativs erhellet. Wo du andere Weiber dazu nimmst über meine Töchter, 1 Mos. 26, 1; außer meinen Töchtern. Über Vermögen versucht werden, 1 Cor. 10, 13. Über sein Vermögen, über Macht essen, über den Durst trinken.
Sie liefen über Macht nach dem Gebüsche zu,
Less.
Das ist über mein Vermögen. Über die gewöhnliche Zeit ausbleiben. Über die Gebühr, über die Billigkeit fordern. Er hat uns über die Maße viel Gutes gethan, Tob. 12, 3. Über alle Maße schön. Er ist über vierzig Jahr alt. Es ist ein Viertel über zehn. Es ist schon über vierzehn Tage, daß ich ihn nicht gesehen habe. Sie haben sich schon über eine Stunde gezankt. Über drey Finger breit. Über sechs Ellen lang, über zehn Pfund schwer. Es sind ihrer über funfzig. Das macht über tausend Thaler. Das ist über Menschen Gedenken. Über die Hälfte. Über ein Jahr bleibt der Wein nicht gut. Das gehet über meinen Verstand, über meinen Begriff. Es geschahe über Verhoffen, über Vermuthen, ohne daß man es hoffte. Über die gewöhnlichen Kosten mußten noch zehn Thaler bezahlt werden. Das ist über die Natur, über die Vernunft, was aus den bekannten Naturkräften nicht erkläret, aus den bekannten natürlichen Wahrheiten nicht erwiesen werden kann. Was über die gewöhnliche Speise gereicht wird. Noch über die geforderte Zahl liefern. Über seine Schuldigkeit thun. Gott, der über alles gütig ist, mehr als alles. Gott über alles lieben.
Dahin gehören auch noch folgende Arten des Gebrauches. Ein Mahl über das andere, mehrere Mahle schnell hinter einander. Hiob bekam eine traurige Bothschaft über die andere. Eine Sünde über die andere häufen, Es. 30, 1; Sünde auf Sünde häufen. Er hält mich einen Tag über den andern auf, mehrere Tage hinter einander. Eine Schuld über die andere machen. Sie bekommt Eine Ohnmacht über die andere. Ingleichen, in eben diesem Verstande mit Wiederhohlung des Hauptwortes im Plural, außer wenn es ein Collectivum ist. Sie bekommt Ohnmachten über Ohnmachten, mehrere, schnell hinter einander. Mir ist ser ubar ser, ich empfinde Schmerzen über Schmerzen, Ottfried. Jemanden Briefe, über Briefe, Bothen über Bothen schicken. Schulden über Schulden machen. Geld über Geld biethen.
Ferner, das so gewöhnliche über dieß, über dieses, über das praeterea, wo das Wort sehr häufig, obgleich eben so irrig, mit der dritten Endung verbunden wird. Über das alles ist heute der dritte Tag, Luc. 24, 21. Über dieses that er noch hinzu. Es ist schon an und für sich billig; über dieß wirst du mich dadurch sehr verbinden. Der Feind war uns überlegen; über dieß wurden wir auch von unsern Bundesgenossen verlassen. Wenn es Joh. 4, 27 heißt: und über dem kamen seine Jünger, so steht hier der Dativ ganz richtig, weil es so viel bedeutet, als sie kamen darüber zu, über seinem Gespräche mit der Samariterinn. Gemeiniglich schreibt man über das und über dieß als Ein Wort, überdieß, überdas, aber eben so unrichtig, als wenn man außerdem, nachdiesem, es ist andem u.s.f. zusammen ziehen wollte. Wir haben der Zusammensetzungen ohnehin schon so viel, daß man sie eher zu vermindern, als so ganz ohne Noth und Grund zu vermehren suchen sollte. Eine Fortsetzung dieser Bedeutung ist, wenn über mit Beywörtern verbunden wird, ein Übermaß derselben zu bezeichnen, da denn die Zusammenziehung eher zu vertheidigen ist; übergroß, überreif, übermächtig, übermüthig, überreich, überhoch, übertheuer, wo es oft nur ungewöhnlich groß, mächtig, theuer u.s.f. bedeutet.
(l) wenn dieses Vorwort in der vorigen Bedeutung von einer Zeit gebraucht wird, so bezeichnet es allemahl einen unbestimmten Überschuß, ein unbestimmtes Übermaß der Zeit; es sind schon über drey Wochen, daß er hier war, mehr als drey Wochen. Allein es wird mit der vierten Endung auch noch in einem doppelten Falle von einer etwas bestimmtern Zeit gebraucht.
(1) Für das Vorwort nach, auf die Frage wenn? eine Zeit zu bezeichnen, welche inzwischen verfließen wird. Heut über acht, morgen über vierzehn Tage. Heut über drey Wochen. Über drey Tage werdet ihr über diesen Jordan gehen, Jos. 1, 11. Über vier Wochen bin ich ein glücklicher Mann. Allemahl über den andern Tag, je den dritten Tag; allemahl über den dritten, vierten Tag u.s.f. Am häufigsten gebraucht man es hier, wenn der Zeitpunct, von welchem man an rechnet, bestimmt, oder doch als bekannt voraus gesetzt wird; über vierzehn Tage, d.i. heut über vierzehn Tage. Übers Jahr komme ich wieder, heute übers Jahr. Wenn ich übers Jahr noch lebe. Übermorgen, den dritten Tag von heute an, den nächsten Tag nach dem morgenden. Doch sagt man auch im gemeinen Leben, über eine Weile, nach einer kurzen Zeit; über lang oder kurz, nach einer unbestimmten längern oder kürzern Zeit. Gesetzt es sollte ihnen über lang oder kurz einkommen, ihr diese Sache vorzuhalten, Gell. künftig einmahl. Im Theuerdanke heißt es: nicht uber lang darnach es geschah, Kap. 72, nicht lange hernach. Opitz gebraucht es noch ungewöhnlicher von einer vergangenen langen Zeit:
Und daß nun überlang
Der angebohrne Lauf behält den langen Gang,
seit langer Zeit. Wenn der Zeitpunct a quo nicht so bestimmt oder deutlich ist, gebraucht man lieber andere Vorwörter. Über acht Tage waren abermahl seine Jünger drinnen, Joh, 20, 26; acht Tage darauf, nach acht Tagen. Es begab sich über drey Jahre, 1 Kön. 2, 39; drey Jahre darnach. Darnach über drey Jahr kam ich gen Jerusalem, Gal. 1, 18; drey Jahr darauf, darnach. Über ein Kleines, Joh. 16, 16. für in kurzem, ist ganz veraltet.
(2) Eine ganze oder völlige Zeitdauer zu bezeichnen, auf die Frage wie lange? Über Nacht auf die Gasse bleiben, 1 Mos. 19, 2; die ganze Nacht hindurch. Außer dieser Redensart stehet es in dieser Bedeutung fast allemahl hinter dem Hauptworte. Es wird kein Mann bey dir bleiben diese Nacht über, 2 Sam. 19, 7. Den Sabbat über waren sie stille, Luc. 23, 56. Die ganze Predigt über schlafen. Was hast du die ganze Zeit über gethan? Ich werde den Sommer über hier bleiben. Die Mahlzeit über, die ganze Mahlzeit hindurch, welches von dem über der Mahlzeit, während derselben, sehr verschieden ist. Das Jahr über. Den Tag über. Im gemeinen Leben gebraucht man es sowohl vor als nach dem Hauptworte in einigen Fällen gern mit der zweyten Endung. Des Tages über, den Tag über. Der Landmann wird über Winters oder Winters über, seinem Vieh wenig zu Gute thun können. Sommers über, über Sommers. Aber nicht Jahrs über, der Mahlzeit über u.s.f.
(m) Endlich gehören hierher auch die Fälle, da dieses Vorwort in Ausrufungen vor Verwunderung, Unwillen und Abscheu mit der vierten Endung gebraucht wird. Über den niederträchtigen Menschen! Über den klugen Mann! Weiße. Über den infamen Kalender, daß ein solcher Tag darinnen steht! ebend. Wo es eigentlich eine Fortsetzung der vorigen achten Bedeutung ist, einen Gegenstand der Bewunderung, des Unwillens, des Abscheues zu bezeichnen.
2. In der Zusammensetzung mit andern Wörtern. Diese Wörter sind,
1) Partikeln, wo das Vorwort bald voran steht, wie in überaus, überall, überein, überhin, bald nachfolgt, besonders mit den relativen Partikeln, darüber, hierüber, hinüber, herüber, vorüber, worüber. Überdas, überdieß, übereinander, gegenüber, gleichüber, querüber, werden richtiger getheilt geschrieben. Überley aber, überseits, überwärts u.a.m. sind im Hochdeutschen unbekannt. Ein Fehler ist es, wenn man das mit den relativen Patikeln zusammen gesetzte Vorwort auflösen will. Ich bekam über dieses einen Streit, für darüber. Über was könnten sich zwey Schwestern auch sonst zanken? Less. für worüber. S. Da II.
2) Mit Nennwörtern, wo es sowohl mit Bey- als Hauptwörtern verbunden wird. Mit Beywörtern bezeichnet es theils ein Übertreffen, wie in übermenschlich, übernatürlich, überwichtig, übermäßig, überzählig u.s.f. theils einen ungewöhnlich hohen Grad des folgenden Beywortes, wie überreif übergroß, übertheuer, übervoll, übermüthig, überlaut u.s.f. In übersichtig aber sticht noch die mehr eigentliche Bedeutung des Vorwortes hervor. Mit Hauptwörtern, das Überbein, der Überfluß, Übermuth, Übergewicht, Überrest, Überschrift u.s.f. In manchen Hauptwörtern ist dafür ober üblicher, wie Oberbett, die Oberhand, wo doch das Nebenwort Überhand noch gangbar ist; andere werden mit Ober- und Über zugleich gemacht, wie Oberrock und Überrock, Oberstrümpfe und Überstrümpfe, wo doch zwischen beyden noch ein Unterschied Statt findet.
3) Mit Zeitwörtern, da sich denn unter den mit diesem Vorworte zusammen gesetzten Zeitwörtern ein merklicher Unterschied äußert. Einige sind Neutra, entweder von Natur, oder doch nach der Zusammensetzung, dem Gebrauch und der Bedeutung nach, wenigstens können sie nicht mit der vierten Endung der Sache verbunden werden, und in diesen liegt der Ton auf dem Vorworte: ǘberbleiben, besser übrig bleiben, ǘberfließen, ǘberlaufen, ǘberhangen, ǘberschnappen, ǘberkippen u.s.f. Diese haben das gewöhnliche Augment ge, und im Infinitiv tritt das zu zwischen dem Vor- und dem Zeitwort. Es hat oder ist übergeschnappet, überzuschnappen; das Wasser ist übergelaufen. Das Vorwort ist hier zugleich eine trennbare Partikel, welche in der Conjugation hinter das Zeitwort tritt. Es lauft über, nicht es überlauft, es hangt über.
Andere und zwar die meisten, sind Activa, oder sie haben doch die vierte Endung der Sache bey sich, und in diesen liegt der Ton auf dem Zeitworte: überántworten, überdénken, sich überéilen, jemanden überfállen, ihn überláufen, sich überhében u.s.f. In diesen ist das Vorwort untrennbar, d.i. es verläßt sein Zeitwort die ganze Conjugation hindurch nicht: er übereilet sich, ich überlaufe niemanden. Diese Zeitwörter bekommen in den vergangenen Zeiten das Augment ge nicht, und im Infinitiv nimmt das zu seine Stelle vor der ganzen Zusammensetzung: ich habe es schon überlegt, er ist überrascht worden, nicht übergelegt, übergerascht. Es ist noch zu überstehen, zu übersehen, nicht überzustehen. Einige wenige Ausnahmen gibt es auch hier. Übernáchten und überwḯntern haben den Ton auf dem Zeitworte, da er doch der Regel nach auf dem Vorworte liegen sollte. Einem ǘberhelfen gehöret nicht zu den Ausnahmen, weil hier der Dativ, nicht aber der Accusativ, steht. Übereḯn stimmen und überein kómmen, gehören gar nicht hierher.
Ein Fehler aber ist es, wenn man das Vorwort in denjenigen Fällen, wo es untrennbar seyn sollte, als ein trennbares behandelt.
Laß theure, dich nicht deiner Schwachheit über,
Schleg.
für überlaß dich nicht.
Denk alles, was du glaubst, noch zehnmahl ernsthaft über,
Dusch.
für überdenke alles u.s.f. So wie es ein Fehler ist, das trennbare Vorwort in ein untrennbares zu verwandeln. Alles, alles glänzt in reifer Schönheit, alles überströmet in vollem Segen, Geßn. für, es strömt in vollem Segen über. Oder gar ein zusammen gesetztes Zeitwort zu gebrauchen, wo doch nur das einfache Zeitwort mit dem Vorworte Statt finden kann. Das Vergnügen zu sammeln übergeht alles andere Vergnügen, Gottsch. für, geht über alles andere Vergnügen. Von den Bedeutungen der mit diesem Vorworte zusammen gesetzten Zeitwörter, will ich hier nichts sagen, um diesen Artikel nicht zu weitläufig zu machen; sie lassen sich indessen allemahl auf eine der vorigen zurück führen, von welchen sie mehr oder weniger Figuren sind.
Anm. 1. Man wende nun die in unsern Sprachlehren gegebene und schon oben gedachte Regel, daß über auf die Frage wohin? die vierte, und auf die Frage worin? die dritte Endung erfordere, auf die oben angeführten Bedeutungen an und sehe, wie weit man damit komme. Diese Regel ist ganz aus den gemeinen Lateinischen Sprachlehren entlehnet, wo man super und supra auf diese Art unterscheiden lehret. Allein das Deutsche Vorwort hat mehr Bedeutungen als diese beyden Lateinischen; es bedeutet auch trans, vltia, inter, plus, praeter, per, post, de, ad, ex, amplius, nimium u.s.f. und auf die meisten dieser Bedeutungen läßt sich diese Regel nicht anwenden. Wollte man ja eine kurze Regel haben, so würde sie so lauten. Wenn sich bey über eine Thätigkeit, oder auch nur ein Bestreben zur Thätigkeit, gedenken lässet, so erfordert es die vierte, außer dem aber die dritte Endung.
Es gilt auch von diesem Vorworte, was man bey allen Vorwörtern, sowohl in der Deutschen als andern Sprachen, nie aus den Augen verlieren muß, daß zwar ihre verschiedenen Bedeutungen angezeiget, und deren Gränzen bestimmt werden könnnen, daß aber deswegen ein Vorwort nicht in allen den Fällen gebraucht werden könne, welche sich unter eine oder die andere Bedeutung ziehen lassen. Der Gebrauch hat seine Tyranney vornehmlich an den Partikeln, und unter diesen am stärksten an den Vorwörtern ausgeübt, und viele Bedeutungen eines Vorwortes nur auf eine bestimmte Anzahl von Ausdrücken eingeschränkt, dagegen in andern vollkommen ähnlichen Fällen ein anderes Vorwort üblicher ist. So ist über in der zehnten Bedeutung des Accusativs im Hochdeutschen sehr eingeschränkt. Für, Esau nahm über die Weiber, die er zuvor hatte, Mahalat, wird man lieber sagen, außer den Weibern. Über die gedachten zwey Güter besitzet er noch u.s.f. außer den. Über wird, wie andere ähnliche Vorwörter, im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart in einigen Fällen gern mit dem Artikel zusammen gezogen; übers, übern, überm, für über das, über den, über dem. Laß dein Brot übers Wasser fahren. Übern Haufen werfen. Die Wolke steht überm Hause. Die beyden ersten sind noch am erträglichsten; überm aber beleidigt das Ohr zu sehr, als daß es sich entschuldigen ließe.
Anm. 2. Dieses alte Vorwort lautet schon bey dem Ulphilas afar, ufar, im Isidor ubar, im Nieders. over, över, äwer, im Angels. over, im Schwed. yfver, ofar, öfver, ivir, ivi, im Pers. aber, mit vorgesetztem j bey dem Kero iuber, mit dem Hauchlaute im Griech. ὑπερ, und mit dem Zischer im Lat. super und supra, im Franz. sur. Das hohe Alter erhellet schon aus dem Hebr. עבר, trans, über. Die Endsylbe ist die Ableitungssylbe einen Umstand zu bezeichnen, vielleicht ein Ding, Subject. Daher war es ehedem auch ohne diese Endsylbe üblich. Froide ob aller froide, einer der Schwäbischen Dichter, für, Freude über Freude. Auch die Niedersachsen gebrauchen up, und die Oberdeutschen ob, so wie die Schweden of, å, noch oft für über. Das Lat. ob, wegen, gehöret gleichfalls hierher. S. Auf und Oben, welche sehr genau mit diesem Worte verwandt sind. Das Beywort von über heißt ober und in einigen Fällen übrig. Es scheint, daß in unserm heutigen über zwey verschiedene Bedeutungen zusammen geflossen sind, die Bedeutung der Höhe, da es denn zunächst zu auf gehöret, und die Bedeutung der horizontalen Bewegung, da es mit üben verwandt seyn würde. Beyde Bedeutungen lassen sich indessen auf die allgemeinere Stammbedeutung der Bewegung überhaupt zurück führen. Im Schwedischen ist of sehr, (S. unser Oft,) und obar, vortreflich.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.