Verwirren

Verwirren

Verwirren, verb. regul. et irregul. act. ich verwirre, du verwirrest u.s.f. Imperf. ich verwirrte, im Hochdeutschen nicht leicht verworr; Mittelw. verworren, seltener verwirrt. Es ist von dem im Hochdeutschen veralteten Zeitworte wirren, und ver, welches hier eine Verbindung unter einander bedeutet, so daß verwirren wegen des Zeitwortes wirren mehr sagt, als verwickeln.

1. Eigentlich so unter und in einander schlingen, daß man weder Anfang noch Ende erkennen, noch die einzelnen Theile hinlänglich von einander unterscheiden kann. Den Zwirn verwirren. Die Haare sind so verworren oder verwirrt. Verworrene, verwirrte Fäden.

2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) In einen hohen Grad der Unordnung bringen, so daß alles in und unter einander gemenget ist. Den Staat verwirren, die Ordnung in demselben im höchsten Grade stören. Am häufigsten im Mittelworte. Es liegt alles verworren unter einander. Daher ist im Niederdeutschen Wirrwarr, Verwirrung, Unordnung. Eine Sache, einen Prozeß verwirren, die Theile derselben so unter einander mengen, daß man sie nicht mehr deutlich unterscheiden kann. Es ging sehr verwirrt zu, sehr unordentlich. Ein verworrner oder verwirrter Handel. Ein verworrener Prozeß. Eine verwirrte Geschichte. Dahin gehöret auch die Sprachenverwirrung der Deutschen Bibel. Lasset uns ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache vernehme, 1 Mos. 11, 7. (2) Sich in oder mit etwas verwirren, so Theil an etwas nehmen, daß man nicht so leicht wieder zurück gehen kann. Damit mag ich mich nicht verwirren, ich mag mich nicht damit einlassen. Laß dich damit unverwirret. (3) Uneinig, uneins machen; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Der Gottlose verwirret gute Freunde, Sir. 28, 11. Böse Mäuler verwirren viel, die guten Frieden haben, V. 15. (4) Beschämen, so daß der Beschämte nicht weiß, was er sagen soll, schon bey dem Ottfried wirren; jetzt nur noch zuweilen im gemeinen Leben. (5) Jemanden verwirrt, ihn verwirrt, (nicht verworren) machen; ihn ohne hinlängliche Überzeugung von der wahren Meinung zweifelhaft machen. Verwirret die Gewissen nicht. (6) Mit noch näherer Beziehung auf die Vorstellung oder Erkenntniß, ist verwirrt, oder noch häufiger verworren, unter einander gemengt, so daß man die einzelnen Theile auf Ein Mahl wahrnimmt oder empfindet, und darin gegründet; da denn die Verwirrung dieser Art wieder ihre verschiedene Grade hat. Eine Geschichte sehr verworren erzählen. Verworren reden. Eine verworrene Vorstellung, wo die einfachen Ideen, aus welchen sie bestehet, unter einander gemengt sind, wo man die Merkmahle nicht gehörig unterscheidet.


Mein Auge rollt verwirrt, und sieht ihn schüchtern an,

Schleg.


Ein verworrener oder verwirrter Kopf, welcher die deutliche und undeutliche Erkenntniß auf eine nachtheilige Art mit einander vermengt, und solches durch sein Betragen äußert. Eine verworrene Schreibart. Verwirrt, oder im Kopfe verwirrt, oder verworren seyn, verrückt seyn, seinen gesunden Verstand verloren haben, der höchste Grad der Vewirrung der Ideen.

So auch die Verwirrung, besonders von dem Zustande, da etwas verwirrt ist, in allen Bedeutungen des Zeitwortes, auch im figürlichen Verstande, nachtheilige Verwirrung der Begriffe, der deutlichen und undeutlichen Erkenntniß, Abwesenheit der völligen Deutlichkeit, wo man von der irregulären Form verworren auch das Hauptwort die Verworrenheit hat.

Anm. Schon bey dem Notker firwirren. Was die Conjugation dieses Wortes betrifft, so gehet es im Hochdeutschen völlig regulär, bis auf das Mittelwort, welches öfter verworren als verwirrt lautet, obgleich auch dieses nicht selten ist. Gottsched behauptet in seinen Beobachtungen über den Gebrauch und Mißbrauch deutscher Wörter, verwirren gehe regulär, wenn es ein Activum ist, irregulär aber, wenn es als ein Neutrum gebraucht werde. Allein, es findet sich hier nur die kleine Schwierigkeit, daß wir kein Neutrum verwirren haben, sondern Statt dessen das Reciprocum sich verwirren gebrauchen müssen. Die von ihm daselbst angeführten und zum Neutro gerechneten Beyspiele, das Ding ist ganz verworren, ein verworrener Handel, sind augenscheinlich Mittelwörter der vergangenen Zeit oder der passiven Gattung; wohin auch, nach einer bey diesen Mittelwörtern sehr gewöhnlichen Figur, der verworrene Kopf gehöret.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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