Brauchen

Brauchen

Brauchen, verb. reg. welches in dreyfacher Gestalt üblich ist.

I. Als ein Activum zu seinen Bedürfnissen anwenden, in der weitesten und allgemeinsten Bedeutung, so daß die Art und Weise dieser Anwendung unbestimmt bleibt. Eine Sache brauchen, sich ihrer bedienen. Eine Brille brauchen. Eine gebrauchte Sache, deren man sich schon bedienet hat. Sich von einem brauchen lassen, sich nach dessen Absichten thätig erweisen. In dieser ganzen Bedeutung ist im Hochdeutschen gebrauchen üblicher; wenigstens gehören die meisten Ausdrücke, wo noch das einfache Zeitwort vorkommt, in die Sprache des täglichen Umganges, wohin auch die Redensarten gehören: Arzeney brauchen, d.i. sie zu sich nehmen, einnehmen; ich habe in meiner Krankheit nichts gebraucht, d.i. keine Arzeney eingenommen; eine Cur brauchen, sich ihrer bedienen; brauchen sie ihre Bequemlichkeit, eine List brauchen, Ernst brauchen, ein Wort in der eigentlichen, in der figürlichen Bedeutung brauchen. In welchen und allen übrigen Fällen gebrauchen nicht allein edler, sondern auch bestimmter ist. S. die Anm.

Die Oberdeutsche Wortfügung in welcher dieses Zeitwort die zweyte Endung der Sache erfordert, kommt noch mehrmahls in der Deutschen Bibel vor. Der Gerechte brauchet seines Guts zum Leben, aber der Gottlose brauchet seines Einkommens zur Sünde, Sprichw. 10, 16. Brauche des Lebens, mit deinem Weibe, Pred. 9, 9. Sein Stab, des er am Meere brauchte, Es. 10, 26; und in andern Stellen mehr. Ehedem war es auch als ein Reciprocum üblich. Sie bruchten sich des Kleyds, heißt es in dem 1514 gedruckten Livius.

II. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, nöthig haben, bedürfen, und zwar so wohl mit der vierten Endung des Hauptwortes: ich brauche Bücher, habe Bücher nöthig; als auch mit dem Infinitiv und dem Wörtchen zu. Du brauchst dieses nicht zu thun. Ein Frauenzimmer braucht nicht gelehrt zu seyn. Sie brauchen ihm nichts davon zu sagen, es ist nicht nöthig, daß sie ihm etwas davon sagen. Wir brauchen ja nicht zu lieben, Gell. Wenn das geschehen sollte, so brauchte ich ja nicht befördert zu werden, so war es nicht nöthig, daß man mich beförderte.


Wir brauchen nur verstellt zu weinen,

So thun sie ihre Schuldigkeit,

Gell.


Ihr braucht ja nur die Schuld auf ihren Reitz zu schieben,

Wiel.


Die Oberdeutsche Mundart liebt auch in dieser Bedeutung die zweyte Endung des Hauptwortes, die auch im Hochdeutschen noch nicht ganz veraltet ist. Ich brauche deiner Dienste nicht.

III. Als ein Impersonale, gleichfalls in der vorigen Bedeutung. Wenn die Sache, welche als nöthig vorgestellet wird, ein Substantivum ist, so stehet sie so wohl in der zweyten, als auch in der vierten Bedeutung. Was braucht es einer Abschrift? Was für Zeit braucht es nicht, alles das zu lesen? Es hätte nicht so vielen Aufwand, oder so vieles Aufwandes gebraucht, ein Paar gute Freunde zu bewirthen.


Brauchts ihn zu finden einer Reise?

Haged.


Es brauchte viele Müh, ihm sein Geheimniß abzuzwingen,

Wiel.


Um Beyfall zu verdienen,

Brauchts einer edlen That,

Weiße.


Wird aber der nöthige Gegenstand durch ein Verbum ausgedruckt, so folgt daß. Es braucht es nicht, daß ich es thue. Es hätte es nicht gebraucht, daß du zu ihm gegangen wärest.

Anm. Da dieses Verbum so wohl zu seinen Bedürfnissen anwenden, als auch nöthig haben bedeutet, so ist diese Zweydeutigkeit, welche oft einen ganz entgegen gesetzten Sinn verursachen kann, vermuthlich die Ursache, warum in der ersten Bedeutung in den meisten Fällen gebrauchen üblicher und anständiger geworden ist. In der zweyten Bedeutung aber hat sich das einfache Zeitwort besser behauptet. S. Gebrauchen. Frischens Regel, daß brauchen in dieser zweyten Bedeutung nach Art der Griechen die zweyte Endung erfordere, wenn man nur einen Theil der Sache nöthig hat, aber die vierte, wenn man ihrer ganz bedarf, ist eine Grille.

Pruhhan bedeutet schon bey dem Kero, pruchen bey dem Notker, und gebruchan bey dem Willeram uti. Im Nieders. lautet dieses Zeitwort bruken, im Angels. brucan, im Holl. bruyken, im Schwed. bruka, im Dän. bruge. Frischens und Ihre's Muthmaßung, daß es das Intensivum von einem ältern Verbo sey, welches sich noch in dem Latein frui erhalten habe, hat alle Wahrscheinlichkeit. Indessen kann der untergeschobene Hauchlaut auch nur eine bloße Folge des Dialectes seyn. In Fructus, und Fruges ist derselbe auch schon vorhanden. Im Griechischen bedeutet βρυκω ich esse.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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