- Anmuth, die
Die Anmuth, plur. car. 1) Die sanfte angenehme Empfindung, welche durch den Genuß des Guten hervor gebracht wird. Dann fühle ich ganz die Anmuth häuslicher Sicherheit. Wie viele Anmuth des Lebens rauben sich diejenigen, die sich aus Eigensinn zu einem ehelosen Stande verdammen, Gell.
O Anblick, der mich fröhlich macht,
Mein Weinstock reift und Doris lacht,
Und mir zur Anmuth wachsen beyde!
Haged.
Noch häufiger aber, 2) diejenige Eigenschaft an den Gegenständen, welche diese sanfte Empfindung hervor bringt, besonders so fern diese Eigenschaft in das Auge fällt. Die Anmuth einer Gegend. Ein Garten von besonderer Anmuth. Wüßten sie, wie viel Anmuth das Landleben bey sich führet!
Anm. Wachter hält Anmuth für ein neues Wort, das von muthen, animum afficere, herkomme, wenn es nicht gar aus dem Latein. Amoenitas gemacht worden. Frisch glaubt, daß es aus Annehmede entstanden, und rechnet es folglich zu nehmen, und annehmen. Beyde kennen nur die zweyte Bedeutung in diesem Worte, und übergehen die erste, die doch die ursprüngliche ist, völlig. Aber aus dieser erhellet zugleich, daß Anmuth wirklich aus Muth zusammen gesetzt ist. Dieses bedeutete ehedem unter andern auch, theils eine jede Begierde, theils aber auch Freude und Vergnügen. Frisch selbst führet aus dem Leo Jud zwey Stellen an, in welchen derselbe der Anmuth für Sinn, Begierde gebraucht, erkläret aber dieses Wort irrig für veraltet, wozu ihn vermuthlich das männliche Geschlecht, in welchem dieser Schriftsteller das Wort gebrauchet, verleitet hat. Nur das Vorwort an macht hier einige Schwierigkeit, weil dessen eigentliche Bedeutung hier nicht sogleich klar ist. Es kann, in so fern Muth hier Begierde und Verlangen bedeutet, entweder die Richtung des Gemüthes auf den verlangten Gegenstand andeuten, oder es kann auch, wenn Muth hier für Freude, Vergnügen stehet, eine mildernde Kraft haben, und einen geringen Grad der Freude ausdrücken, welches dem Verstande des Wortes Anmuth, so fern es eine Empfindung bezeichnet, vollkommen angemessen ist, indem Anmuth, Vergnügen, Freude u.s.f. nur dem Grade nach verschieden sind. S. auch die beyden folgenden Artikel. Schilter führet aus dem Steinhovel das Beywort anmin für anmuthig an, welches diese Ableitung bestätiget; indem Min in dieser Zusammensetzung ohne Zweifel das alte Minne, Liebe ist. Das Angelsächsische anmod für widerspänstig, hartnäckig, gehöret zu einer andern Bedeutung des Wortes Muth, nach welcher es auch Zorn, Eifer, bezeichnete.
Es ist sonderbar, daß Anmuth, in so fern es eine Eigenschaft der Gegenstände ausdruckt, im Hochdeutschen nur von solchen Dingen gebraucht wird, die durch das Gesicht empfunden werden. In der Zusammensetzung des Wortes ist kein Grund dazu vorhanden. Es rühret solches ohne Zweifel von einer bloßen Unterlassung der Hochdeutschen her, die dieses Wort von den Oberdeutschen bekommen haben, bey welchen es wirklich von allen übrigen Sinnen üblich ist.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.