- Verfangen
Verfangen, verb. irreg. S. Fangen, welches auf doppelte Art gebraucht wird.
I. Als ein Activum oder vielmehr als ein Reciprocum, wo es nach Maßgebung sowohl der Partikel, als auch des einfachen Zeitwortes, in verschiedenem Verstande üblich ist. 1. * Verpflichten, in Pflicht nehmen, und sich verfangen, sich verpflichten, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche indessen noch in den Oberdeutschen Urkunden vorkommt. 2. Sich verfangen, sich fangen lassen, sich in etwas, als in einem gelegten Netze verwickeln, eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher das noch mehr veraltete verfahen noch einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt. Daß du dich nicht versähest in dem Silber oder Gold der Götzen, 5 Mos. 7, 25. Verfahe dich nicht an ihren Augenliedern, Sprichw. 7, 25. In figürlichem Verstande wird verfangen in den Rechten zuweilen für befangen gebraucht; in Streit verfangene Güter. In einem etwas andern Verstande sind in einigen Gegenden verfangene Güter, Güter, welche mit einer Art von Fidei-Commiß belegt sind, mit welchen der Eigenthümer nicht nach Belieben schalten kann. S. Verfangenschaft. 3. In nahe verwandter Bedeutung sagt man, der Wind habe sich verfangen, wenn er in einem Raume gleichsam eingesperret oder gefangen ist, so daß er keinen freyen Ausgang hat. Der Wind verfängt sich in dem Mantel. Subjective verfängt man sich, wenn man in heftiger Bewegung allzu viele Luft einschlucket, so daß dadurch das Athemhohlen erschweret, und oft der Leib aufgetrieben wird, wo sich eigentlich die Luft in der Lunge verfängt. Die Windhunde verfangen sich, wenn sie zu heftig gegen den Wind laufen, welches auch von den Pferden und Menschen gilt. Bey den Pferden belegen ungeschickte Pferdeärzte mehrere
ganz verschiedene Krankheiten mit dem Nahmen des Verfangens, vermuthlich, weil sie sich von außen durch einerley Merkmahle verrathen; z.B. Krankheiten, die von einem Trunke in der Hitze, von unterdrückter Ausdünstung u.s.f. herrühren, S. Rehe, welches gleichfalls ein Nahme dieser Krankheit ist. Übrigens ist für verfangen in dieser Bedeutung auch verschlagen üblich. 4. Oft wird verfangen auch für verbeißen gebraucht, zu heftig zubeißen oder fangen, so daß man den Mund nicht wieder öffnen kann, auf welche Art sich die Hunde zu verfangen pflegen. 5. * Sich an etwas verfangen, vergreifen, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Sich an Gottes Geboth verfangen, in einer Schrift von 1540. 6. Im Bergbaue sagt man, das Erz verfange sich, wenn es seine Farbe an der Luft verliehrt und blaß wird, wie das rothgüldene Erz thut. Vielleicht ist es hier eine Figur der vorigen dritten Bedeutung. 7. * Sich verfangen, für unterfangen, ein im Hochdeutschen ungewöhnlicher Gebrauch.
II. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, als ein Mittel, die verlangte Wirkung hervor bringen. Es verfängt nichts mehr bey ihm, es hilft nichts mehr, nichts thut einige Wirkung mehr. Es wollen weder Ermahnungen noch Züchtigungen etwas bey ihm verfangen. Die Arzeney will nichts mehr verfangen.
Wenn fast kein Mittel mehr in solcher Noth verfing,
Gryph.
Diese Bedeutung ist alt. Das mir herunder al min kumber und min dienest niht verfaht, Ulrich von Gnotenburg. Ehedem gebrauchte man es auch in weiterer Bedeutung für helfen, nützlich seyn, und zwar nach dem Muster des Lateinischen invare, mit der vierten Endung der Person. Was ist sie iro Wistuom verfangen? Notker, was hat ihnen ihre Weisheit geholfen?
Swas ich der guoten ie gesang,
Das hat mih noh vervangen niht,
Graf Kraft von Toggenburg.
Sin spehe rede in sol luizel wider mich vervahen,
Reinmar der Alte.
Es scheint, daß es in dieser Bedeutung nach dem Latein. proficere gebildet worden, so daß fangen und fahen hier in einer seiner weitesten Bedeutung stehet. Indessen ist verschlagen in ähnlichem Verstande üblich.
So auch das Verfangen, in den meisten der vorigen Bedeutungen.
Anm. Es scheint, daß es ehedem auch für anrechnen gebraucht worden.
Nieman im es vervienge
Zeiner grossen missetat
Ob er danne gienge,
Reinmar der Alte.
Auch kommt sich verfahen für, sich verwundern, bey sich anstehen, in ältern Schriften vor, anderer veralteten Bedeutungen zu geschweigen.
http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.